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Taschenbuch:
ISBN: 9783753114750 eBook(ePub): ISBN: 9783753114880 Seiten:
456
Inhaltsangabe:
Der Rennfahrer Mark Kirchheim und seine Freunde nehmen
an Tourenwagen-Rennen teil. Ihre Geldmittel sind begrenzt, wie auch der Erfolg.
Zum Ende der Motorsportsaison werden drei große Rennteams durch organisierte
Kriminalität massiv unter Druck gesetzt. Das Ziel der Organisation ist die
Einflussnahme im Motorsport. Alle Machenschaften haben nur ein Ziel.
Leseprobe:
20. September 1992, Sonntag, 8.00
Uhr
Nürburgring in der Eifel
Alle vier waren am Vorabend erst
sehr spät ins Bett gekommen. Die Probleme mit Marks „Alten“ waren nicht mehr
von der Hand zu weisen. Ihre große Müdigkeit war auch schon von der Bedienung im
Restaurant bemerkt worden. Der mitleidige Blick und der sehr persönliche Service
von ihr sagten ihnen, dass man selbst im Dorint Hotel von den Problemen wusste.
Auf Marks Wunsch hin waren sie alle vier an dem Morgen dort frühstücken gegangen.
Das Frühstück dort war zwar nicht gerade günstig, aber sehr reichhaltig und
eine willkommene Abwechslung nach der vergangenen Nacht. Er selbst hätte auch gerne
einmal immer im Hotel übernachten wollen, aber bei der Augenblicklichen finanziellen
Lage war daran nicht zu denken. Es war 8.15 Uhr als die Bedienung zum Kaffee
nachschenken wieder vorbeikam. Nach ein paar allgemeinen Wortwechseln bezahlte Mark
und alle vier verließen das Restaurant. Auf dem Weg ins Foyer wurden sie von
zwei Journalisten angesprochen.
„Sie sind doch Mark Kirchheim?“,
fragte einer der beiden und sah dabei zu Mark.
„Ja, der bin ich“, antwortete er.
Sie kannten die Beiden nur vom Sehen. Es gab viele Journalisten, die ihre
Arbeit vernünftig ausübten ohne dabei irgendeine Phantasie mit in die
Reportagen hinein zu dichten. Mark hatte aber auch schon viele schlechte Erfahrungen
gemacht. Doch diese beiden sahen wie „Fachjournalisten“ aus. Mit dieser Spezies
hatte man am wenigsten Ärger, so seine Erfahrung mit den Jahren. Man konnte sie
zumeist an den mitgeführten Kameras und Schlägermützen auf ihren Köpfen erkennen.
Denn Zeitungsreporter hatten selten die Kameras selbst dabei, da ein separater
Kameramann ihnen auf Schritt und Tritt folgte.
„Von welchen Motorsport
Zeitschriften sind Sie?“, erkundigte er sich.
„Sie haben uns als Fachjournalisten
erkannt?“
„Vom Sehen her kenne ich Sie beide.“
Die drei Freunde von Mark verabschiedeten sich schon Mal und gingen zum
Fahrerlager vor. Mark teilte ihnen mit, er würde gleich nachkommen. Das dies
nicht so schnell der Fall sein würde, wussten sie. Sie kannten ihren Mark halt.
„Also, ich bin Maik Bishelm von der
Motorwelt Aktuell und das ist Jochen Heims vom Magazin Touren-Racing.“
Von diesen beiden Zeitschriften hatte er schon gehört, er hatte auch schon mal
die eine oder andere in der Hand, aber kennen wäre zu viel gesagt.
„Und was möchten Sie wissen?“
Wobei er auf die Vitrinen hinter den beiden Journalisten schaute, die sich im
Gang befanden. Diese beinhalteten Souvenirs von bekannten Rennfahrern, wie zum
Beispiel, Ayrton Senna, Gerhard Berger, Alain Prost, Nigel Mansell, Klaus Ludwig
und weiteren. Auch konnte man Artikel von Rennställen wie McLaren, Ferrari, Benetton
und anderen sehen.
„Wir haben im Fahrerlager von Ihren
Schwierigkeiten gehört. Könnten Sie uns da näheres zu sagen?“, fragte Maik
Bishelm.
„Ja, das kann ich. Also, die
Probleme habe ich ja nicht erst seit gestern.“
Marks Mundwinkel verzog sich ein wenig und es trat eine kurze Pause ein.
„Seit wann ungefähr?“
„Angefangen hat es Mitte der
letzten Saison. Da begannen die ersten Antriebsprobleme. Kurz darauf folgten
Getriebe, Motor, Elektrik und so weiter. Gestern lief der Motor nicht richtig
rund, was zu zeitweiligen Aussetzern führte. Erst nach dem Training bekamen wir
es richtig in den Griff. Da war es für eine gescheite Platzierung allerdings zu
spät.“
„Stimmt es, dass Sie gestern kurz
vor der Ford-Kurve einen Ausritt hatten?“
„Stimmt.“
„Und wie kam es dazu?“, erkundigte
sich Jochen Heims, der bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Wort gesprochen hatte.
„Ich hatte wieder einen meiner
tollen Motoraussetzer“, antwortete Mark sarkastisch. „Mein Fehler war es, dass
ich dabei zu weit über die Curbs (flache Randsteine an
Rennstrecken) kam und mich aus heiterem Himmel gedreht habe. Dabei ist das
Heck rückwärts in die Leitplanken eingeschlagen, was uns Arbeit für fast eine
ganze Nacht bescherte.“
„Wie schlimm war es?“, fragte Maik
Bishelm.
„Es hat für den Kofferdeckel mit
Flügel sowie hinterer Wand mit Beleuchtung gereicht.“
„Was mussten Sie alles austauschen
und hatten Sie Ersatz dabei?“
„Die Beleuchtung bekamen wir von
dem Bogandi-Team und einen neuen Flügel hatten wir noch selbst. Der Rest war
Ausbeulen.“
„Wissen Sie schon von welchem
Startplatz Sie starten werden?“
„Ja, klar. Vom Letzten, dem
Achtundzwanzigsten aus.“
„Dann wissen Sie noch nicht, dass
das Jannson-Team mit den beiden BMW M3 über Nacht abgereist ist?“
„Nein, das ist mir neu!“
„Wie alt ist Ihr 3er BMW jetzt
eigentlich, Herr Kirchheim?“, erkundigte sich Maik Bishelm.
„Mmh, etwa vier Jahre habe ich ihn.
Davor war er schon drei Jahre bei einem anderen Team.“
„Wie stellen Sie sich den Rest der
Saison vor?“
„Wir müssen versuchen die Probleme
in den Griff zu bekommen. Ob uns das gelingt wird sich in der restlichen Saison
zeigen.“
Mark schaute auf die Uhr und fing an sich langsam abzuwenden.
„Sie müssen mich jetzt bitte entschuldigen,
es ist fast halb neun. In ein paar Minuten beginnt das letzte freie Training.“
Die beiden verabschiedeten sich von ihm bevor er flotten Schrittes im Foyer
verschwunden war. Das Hotel verließ er durch den Haupteingang. Dann bog er nach
rechts ab, am Ring-Museum vorbei. Nach wenigen Schritten war die Brücke erreicht,
die über die Rennstrecke führte, direkt an die Boxengasse und in das
Fahrerlager. Vom anderen Ende der Brücke konnte man Teilstücke der Rennstrecke
sehen, die Bitkurve, den Hatzenbachbogen (hinterher
auch ITT Bogen genannt), die Veedol-Schikane und die Coca-Cola-Kurve. Noch
weiter hinten waren Streckenabschnitte der alten Nordschleife zu erkennen. Über
die Coca-Cola-Kurve hinaus erhob sich in einigen Kilometern Entfernung die alte
Nürburg. Diese wurde im Mittelalter auf einem Berg errichtet und wird noch
heute von Touristen häufig besucht. Nach einem kurzen Blick auf die Strecke
eilte Mark die zwei langen Treppen hinab. Heims und Bishelm folgten ihm
langsam. Die Brücke, die vor der Rennstrecke begann, endete mitten im Fahrerlager.
Dieses Fahrerlager hatte die Größe von ungefähr fünf Fußballfeldern. Am Treppenende
angekommen eilte Mark nach rechts und war nach ein paar Schritten im
immerwährenden Gewühl verschwunden. Von dort aus erstreckte sich das lange
zweistöckige Boxengassen-Gebäude vor einem. Wie bei jedem Rennen waren mehrere
Gänge parallel zu dem Boxengassen-Gebäude gebildet worden. Eine fast unzählige
Ansammlung von Zelten, Zeltpavillons, Transportern, Lkws und Wohnwagen waren zu
sehen. Alle paar Meter waren noch Schlagschrauber, Werkzeuggeräusche, Stimmengewirr
und vor allem immer wieder aufheulende Motorenklänge zu vernehmen. Man spürte
förmlich die noch herrschende Hektik überall. Auch die Boxen waren belegt.
Diese waren jedoch den großen finanzstarken Teams vorbehalten.
Als er zu den drei Freunden am Teamplatz stieß rief Michael, einer von zwei
Mechanikern im Team, Mark entgegen.
„Schön, dass du da bist.“
„Ist ja schon gut. Ich habe mich
doch schon beeilt“, rechtfertigte Mark sich.
Das Kirchheim-Team bestand aus dem Fahrer und Teamchef Mark Kirchheim und den
beiden Mechanikern Michael Böster und Frank Lönz sowie Moni Rogel, die Freundin
von Michael und Köchin im Team. Marks Freundin musste an Wochenenden häufig
arbeiten und war auch dieses Mal nicht dabei. Außer dem „alten“ gelben 3er BMW
waren noch ein Transporter und ein Zeltpavillon vorhanden. Der Transporter und
der Pavillon standen, wie bei den meisten anderen auch, quer zu einem der
vielen Gänge. Unter dem Pavillon befand sich der 3er BMW. Mark sprang in den
Transporter zum Umziehen und kehrte nach wenigen Minuten wieder zurück. Der
Helm lag, wie gewohnt, im Wagen. Er zog den feuerfesten Kopfschutz über, nahm
den Helm aus dem Wagen und setzte ihn auf. Frank Lönz überprüfte währenddessen
den Luftdruck an den Reifen. Mark setzte sich in den Wagen und schnallte sich
an. Bei den umliegenden Teams fuhren die ersten Wagen zur Rennstrecke. Frank
war mit dem Überprüfen der Reifen fertig und Mark ließ per Druckknopf den Motor
an. Nach zwei Fehlversuchen sprang er an. Langsam rollte der 3er BMW unter dem
Zeltpavillon hervor. Ein Blick nach links und Mark fuhr im Schritttempo zum
Start- und Zielturm. Dort angelangt musste er durch die Boxengasse fahren. Am
Ende der Boxengasse saß, in einem Türmchen, der Mann, der für die
Ampelschaltung zuständig war. Diese Ampel wurde zu Beginn des Trainings auf
grün geschaltet. Mit leicht durchdrehenden Rädern befuhr er die Rennstrecke.
Nach einem kurzen geraden Stück kam die erste Rechts-Links Kombination, auch
als Castrol-S bezeichnet. Dann die Fichtel- und Sachs-Passage herunter und nach
einer Linksbiegung auf die Ford-Kurve zu, vor der sich Mark am Vortag gedreht
hatte. Diese passiert, musste in kurzer Entfernung durch die leichte
Opel-Biegung gefahren werden. Die darauffolgende Dunlop-Kehre führte danach wieder
zurück. Oben angelangt ging es durch zwei Kurven, die RTL und die Bit. Ein
bisschen geradeaus und es kam der leichte rechte Hatzenbachbogen gefolgt von
der Veedol-Schikane, einer Links-Rechts-Kombination. Die letzte Biegung vor
Start und Ziel war dann die Coca-Cola-Kurve. Hinunter an der Boxengasse und an
Start und Ziel vorbei.
Michael, Frank und Moni standen währenddessen an der Boxenmauer und folgten mit
ihren Blicken dem Kirchheim BMW. Fünf Sekunden waren vergangen als Mark im
Castrol-S verschwunden war. Als er erneut vorüber kam waren 1.40,71 Minuten
vergangen. Die Streckenlänge betrug 4.5 km. Mit 800 m war sie auch die höchste
Rennstrecke Europas. Inzwischen war die Strecke voller geworden, trotzdem kam
der Kirchheim 3er nach 1.39,89 erneut vorbei. Zur Freude des Teams, denn am
Samstagstraining war er mit 1.42,45 28ster geworden. Der Bestplazierte, Udo
Janßen, hatte den Kurs mit 1.37.41 umrundet. Noch im Vorjahr war keiner unter
die 1.40er Zeitmarke gekommen.
„Hätte Mark diese Zeit am Samstag
geschafft, wäre er noch als achter in die Startaufstellung gekommen“, meinte
Frank.
„Das es nicht an Mark gelegen hat, ist
uns allen dreien klar“, sagte Michael.
„Trotzdem seid ihr doch noch nicht
dahintergekommen, wieso der Motor immer mal wieder diese Aussetzer hatte. Denkt
doch nur mal an das Rennen auf dem Norisring. Da haben wir vier noch gedacht,
wir hätten es geschafft“, bemerkte Moni.
„Ja, danach folgte das Rennen in
Singen mit denselben Motorproblemen wie hier. Das Avus-Rennen in Berlin war
danach das schlimmste in diesem Jahr. Getriebeprobleme, Kardanwellenschaden und
zum Schluss flog Mark auch noch die linke vordere Bremsscheibe um die Ohren“,
erinnerte sich Michael.
„Ihr müsst mich jetzt mal
entschuldigen, denn ich habe keine Zeit mehr hier noch länger herum zu stehen. Schließlich
wollt ihr gleich was zu essen haben.“
Mit diesen Worten verschwand Moni aus der Boxengasse in Richtung Transporter.
„Trotz allem hat unser Meister nie
die Hoffnung aufgegeben“, erinnerte Frank.
„Wie soll er auch? Schließlich hat
er dich ja als ´Genie´ im Team!“, frotzelte Michael.
„Da kommt er wieder. Mal sehen, was
er dieses Mal gebraucht hat?“
„Mmh, Wahnsinn, 1.38,64 Minuten. Er
wird immer besser!“
„Das sieht für das Rennen heute
Nachmittag gut aus.“
Noch ein paar Runden lang versuchte Mark die Zeit zu verbessern. Doch zunehmender
Verkehr auf der Rennstrecke und der Ablauf der halben Stunde für das Warm-up
machten dies unmöglich. Als die Zielflagge vor ihm herunter ging, kam Mark nach
der gewöhnlichen Auslaufrunde bis an die Boxengasse gefahren, um vor dem Start-
und Zielturm mit dem Wagen in einem der Gänge im Fahrerlager zu verschwinden.
Michael und Frank gingen, nein sie schlenderten fast, guter Dinge zum
Transporter zurück. Als sie dort eintrafen war Mark bereits aus dem Wagen
geklettert und hatte sich seines Helms und der Sturmkappe entledigt. Da das
Essen noch längst nicht fertig war, fingen alle drei mit dem Säuberungsritual
vor dem Rennen an. Michael und Frank machten sich über die Insekten her, die
ein lesen der Werbeaufkleber auf der Motorhaube fast nicht zuließen. Diese
kleinen Biester hatten ganze Arbeit geleistet. Umso schwieriger war es, sie von
der Motorhaube und Windschutzscheibe zu entfernen. Nach dem Rennen, wenn man
mehr Zeit hatte, ging man hin und legte feuchtes Zeitungspapier über den
vorderen Wagenteil, was das Säubern danach sehr viel leichter machte. Das diese
Zeit jetzt nicht da war, war klar. Inzwischen war es halb zehn geworden und in
einer halben Stunde musste Mark zur Fahrerbesprechung, die für alle Fahrer
Pflicht war. Ein Nichterscheinen wurde mit einer Geldstrafe nicht unter tausend
Mark geahndet. Durch Einführung dieser Maßnahme kam es fast nie vor, dass ein
Fahrer fehlte. Die nächste Viertelstunde putzte Mark noch am Heck seines Wagens
weiter.
„Ich gehe jetzt zur Fahrerbesprechung“,
teilte Mark den beiden Freunden mit.
„Ist gut“, sagte Michael und wollte
schon weiter putzen als ihm noch etwas einfiel.
„Hey Mark, kannst du die Anderen nicht mal bitten, uns eine Runde Vorsprung
geben? Das wäre doch nett, nicht wahr?“
„Super, Michael“, erwiderte Mark
und verdrehte seine Augen dabei.
„Schon gut, war ja nur so eine Idee“,
antwortete Michael.
„Das war eine Scheißidee“, sagte Frank.
Mit diesen Worten verschwand Mark um die nächste Zeltecke. Michael und Frank
putzten währenddessen weiter. Als ein paar Minuten vergangen waren, erschien
Moni.
„Oh, ist Mark schon zur Fahrerbesprechung?“
„Na klar, wir haben ja schon kurz
vor zehn.“
Sonntag, 10.00 Uhr
Fahrerbesprechung
Alle hatten sich eingefunden. Der Rennleiter
begrüßte einzelne Fahrer bei seinem Hereinkommen und eröffnete die Besprechung
mit den Worten: „Ich begrüße Sie alle und möchte Sie um einige Dinge bitten, erstens
- bitte nicht in der Startphase, wie beim letzten Mal, das Rennen schon im
Castrol-S entscheiden zu wollen und das dortige Kiesbett pflanzfreundlich
umzupflügen. Denn schließlich war beim Neustart nur noch das halbe Fahrerfeld
vorhanden. Zweitens - bitte nicht die ersten Stoßstangen schon in der Dunlop-Kehre
lösen. Wir, die Rennleitung, sind dann gezwungen Sie an die Box zu rufen. Das gefällt
Ihnen nicht, dem Zuschauer nicht und schon gar nicht den Sponsoren. Zudem stört
es nur den Rennverlauf. Drittens - sollen doch bitte die Langsamen von Ihnen
die geschwenkten blauen Fahnen beachten. Für die, die es immer noch nicht
wissen, diese Fahnen bedeuten, dass ein schnellerer Wagen Sie zu überholen
gedenkt.“
Nach noch einigen weiteren Verhaltensvorschriften endete der Rennleiter mit den
Worten: „Ansonsten hoffe ich, dass es ein interessantes Rennen wird und der
Beste gewinnen möge. Ach ja, die drei ersten sollen doch bitte nach dem Rennen
an die Pressekonferenz denken, die ja bekanntlich Pflicht ist.“
Einige unterhielten sich noch in kleinen Grüppchen, während andere sich wieder
zu den jeweiligen Teams begaben. Mark stand aus der zweiten Sitzreihe auf und
war im Begriff zu gehen als er von zwei anderen BMW-Fahrern angesprochen wurde.
Sie waren beide vom Bogandi-Team, welches ihm am Vortag die fehlenden
Heckleuchten gegeben hatte.
„Wir haben gesehen, dass der Wagen
wieder ganz passabel aussieht“, sagte Günther Göge
„Ja, das hat ganz gut geklappt.“
„Hattet ihr denn viel zu tun?“
„Nein, nur Blecharbeiten. Wir haben
das Heckblech herausgezogen.“
„Waren die Befestigungspunkte von
den Heckleuchten denn nicht in Mitleidenschaft gezogen?“
„Es ging so. Ja, eigentlich fast
gar nicht.“
„Du bist jetzt auf den 26ten Platz
vorgerutscht, haben wir gesehen.“
„Wisst ihr denn, warum das Jannson-Team
abgereist ist? So überraschend vor allen Dingen...“
„Man munkelt, dass es um Geld
ging.“
„Was!?... Das Jannson-Team?“
„Wird aber so erzählt. Wir können
ja mal die Kollegen aus dem Mercedes-Lager fragen. Sandy Kaan, Armin Berghard
und Mark Hinsdorf stehen dort drüben.“
Gesagt, getan rief Mark auch schon zu den Genannten herüber.
„Hallo, ihr Sternfahrer, kommt doch mal zu den Weißblauen herüber.“
„Sollen wir euch die Rennstrecke
erklären?“, rief Armin Berghard zurück.
Nach ein paar Schritten waren alle drei Mercedes-Piloten zu den drei BMW-Piloten
gestoßen.
„Womit können wir euch denn
weiterhelfen?“, wollte Sandy Kaan wissen.
„Wisst ihr Näheres über das
Jannson-Team?“, fragte Mark.
„Weil sie so überraschend abgereist
sind?“, fragte Armin Berghard zurück und sagte weiter: „Was ich so in letzter
Zeit gesehen habe war, dass sich immer öfter neue Leute bei dem Team befanden.“
„Ach, du meinst diese Typen in den
dunklen Anzügen?“, erkundigte sich Mark Hinsdorf.
„Ja, jedenfalls passten sie nicht
dorthin. Die unternahmen auch nichts bei dem Team. Sie standen eigentlich immer
nur herum“, teilte Armin den anderen fünf mit.
„Vielleicht Leute vom Hauptsponsor.
Was für eine Firma war das noch einmal?“
„Mmh... sag mal schnell...
irgendeine Softwarefirma war das doch!“
„Wie auch immer, aber ich muss
jetzt zum Team“, sagte Sandy.
„Wir auch“, sagten ebenfalls Günther
und Rüdiger. Dem schloss sich Mark Hinsdorf auch an. Nach kurzen Augenblicken
waren Armin und Mark alleine. Nachdem sie beide noch ein wenig spekuliert hatten,
gingen sie langsam Richtung Fahrerlager zurück. Nach ein paar Minuten war Mark
dann wieder bei den noch putzenden Michael und Frank angekommen. Die wollten
natürlich über den Inhalt der Fahrerbesprechung informiert werden. Nach kurzem
Bericht waren die beiden dann auch schon in gleichen Spekulationen vertieft wie
die Fahrer. Mark ging währenddessen in den Transporter, wo Moni mit dem Essen
fertig war.
„Huch, Mark, wieder da? Mein Gott,
hast du mich aber erschreckt.“
„Oh, das tut mir leid. Das war nicht
meine Absicht.“
„Nicht schlimm, aber wir können
jetzt gleich essen. Bist du so nett und deckst den Tisch?“
„Na klar doch.“
Dann verließ Mark den Transporter mit Tellern, Gabeln und Messern. Draußen legte
er alles auf den Campingtisch ab.
„Hallo ihr zwei, wir können essen.“
Das musste man den beiden nicht zweimal sagen. Denn die hochfliegenden Putzlappen
signalisierten deutlich, dass hier jetzt auf eine andere Tätigkeit Wert gelegt
wurde. Als Mark und Moni mit den Töpfen herauskamen, saßen Michael und Frank schon
am Tisch.
„Sagt mal, wie spät ist es jetzt
eigentlich?“
„Es ist jetzt gleich zwanzig nach elf“,
antwortete Moni auf Franks Frage.
Zwanzig Minuten später waren alle mit essen fertig. Die Nachbarn waren währenddessen
etwas leiser geworden. Entweder aßen sie oder es wurde geputzt, aufgeräumt und
sich noch mal etwas hingelegt. Nachdem die vier mit dem Essen fertig waren
legte sich auch Mark noch etwas aufs Ohr. Michael räumte auf und Frank ging die
bestellten Reifen von Michelin abholen. Die Reifenhersteller bekamen die Felgen
von den Teams angeliefert und zogen je nach Bestellung Reifen mit harter, mittlerer
oder weicher Mischung auf. Bei feuchtem Wetter wurden Regenreifen aufgezogen.
Da noch einige Mechaniker von anderen Teams vor ihm dran waren, musste Frank
noch etwas Geduld aufbringen. Untereinander unterhielten sie sich und foppten
die Michelin-Leute.
„Na, ihr Gummiflöten? Also mir
würde das aber stinken, wenn ich immer nur diese schwarzen Walzen anfassen
müsste.“
Die Gefoppten hielten natürlich in nichts nach.
„Das gerade ihr alten Schmierfinken
das Maul aufmacht, bestätigt uns doch mal wieder, dass ihr euren Job hoffnungslos
überschätzt.“
Solche und andere Sprüche amüsierten die Zuhörer und brachten einen erwünschten
Zeitvertreib bei den mitwartenden Mechanikern. Frank war dann der vorletzte,
der seine Reifen bekam. Für den Transport gab es einen Spezialhandwagen. Dieser
Wagen hatte drei mittlere Industrierollen. Vorne zwei, hinten eine. Oben über
den Rollen befand sich ein Metallrahmen mit einem angebrachten Holzbrett, was
rot gestrichen worden war. Hinten führte eine Metallstange nach oben zu dem schiebenden
Mechaniker. Frank steuerte wieder das Kirchheimlager an. Michael und Moni, die
den Abwasch gemacht hatten, saßen im Schatten. Mark war wieder wach und
unterhielt sich mit den gleichen Fachjournalisten, wie nach dem Frühstück im
Dorint-Hotel. Frank ging zu den beiden im Schatten sitzenden.
„Herr Kirchheim, Sie sind heute
Morgen im Warm-up wieder tolle Zeiten gefahren. Glauben Sie, dass Sie heute bei
dem Rennen weit nach vorne fahren können?“, fragte Maik Bishelm für die Leser
der Motorwelt Aktuell.
„Ich will´s mal hoffen. Das wäre gut
für mich und mein Team sowie für meine Sponsorengelder in der nächsten Saison.“
„Wie Sie ja bestimmt wissen hat BMW
für die kommende Saison eine hundertprozentige Unterstützung für ein Privatier-Team
in Aussicht gestellt. Wie schätzen Sie ihre Chancen auf die Unterstützung ein?“
„Ich weiß nicht, dazu habe ich mir
noch keine Gedanken gemacht. Wenn die Verantwortlichen aber die Auswahl von den
Erfolgen in den einzelnen Teams abhängig machen, sieht das nicht gerade vielversprechend
für uns aus. Wann soll denn die Entscheidung über die Unterstützung fallen?“
„Nach diesem oder dem nächsten
Rennen.“
„Wobei das nächste ja auch das
letzte für uns in dieser Saison sein wird.“
„Wieso? Nehmen Sie denn nicht am
Saisonfinale am Hockenheimring teil?“
„Dort sind wir wieder dabei.“
„Ach, dann lassen Sie das
internationale Rennen in zwei Wochen in Magny Cours ausfallen?“
„Ja genau.“
„Wieso?“
„Zum Ersten müssen wir erstmal den Wagen
wieder richtig herrichten, zum zweiten ist unser Budget so gut wie auf dem Nullpunkt
angelangt.“
„Dann sehen wir Sie also erst in
drei Wochen wieder. Ich möchte Ihnen für das noch ausstehende Rennen viel Glück
wünschen und hoffentlich bekommen Sie die BMW-Unterstützung.“
Nach kurzem Händeschütteln verließen Bishelm und Heims das Kirchheimlager. Sie
wandten sich in linker Richtung ab. Es war bereits kurz nach halb eins
geworden.
„Mark, wird es nicht allmählich
Zeit für die Startaufstellung?“, fragte Michael.
„Ja, du hast recht.“
Mark zog den oberen Teil des Overalls über den Oberkörper, der bis jetzt
einfach nur herabhing. Als nächstes kamen der Kopfschutz und der Sturzhelm
dran. Da fuhren auch schon die ersten Konkurrenten Richtung Startaufstellung. Mark
schwang sich in den Wagen und Frank half ihm beim Anschnallen. Per Druckknopf
wurde wieder der Motor gestartet. Nach einem Fehlversuch heulte die Maschine
auf. Ein ungleichmäßiges Brabbeln war von nun an aus dem Motorraum zu
vernehmen. Franks Gesicht bestätigte Marks Verdacht, denn er war der
Motorspezialist. Seine Stirn legte sich in Falten, seine Augen kniffen sich
zusammen und der Mund verzog sich einseitig. Marks zweiter Gedanke war nun ´da
sind wieder unsere ganz normalen Probleme´. Es war wieder ein Ausfall zu
erwarten. Mit nicht ganz ´rund´ laufendem Motor fuhr Mark rechts den Gang zu der
Shell-Tankstelle entlang. Der Rest des Teams folgte ihm zu Fuß. Da die Wagen
aus dem Fahrerlager jetzt nicht, wie beim Warm-up, durch die Boxengasse zur
Rennstrecke fuhren, sondern auf einem schmalen Weg Richtung Veedol-Schikane,
mussten sie auch nicht den ganzen Kurs umrunden. Es war nur die Coca-Cola-Kurve
zu durchfahren. Unten, kurz hinter der Veedol-Schikane, wo der schmale Weg
direkt auf den Rennkurs führte, ging Mark plötzlich der Motor aus. Der am Rand
stehende Streckenposten zeigte mit eindeutigen Handbewegungen, dass Mark doch
jetzt weiterfahren solle. Er hatte den plötzlichen Leistungsverlust des
Kirchheim BMW´s nicht bemerkt. Da Mark nicht sogleich weiterfuhr und auch schon
drei weitere Wagen sich hinter ihm befanden, wurde der leicht reizbare Streckenposten
ungemütlich. Als er schnellen Schrittes auf Marks Wagen zukam, versuchte Mark
den Motor erneut zu starten. Erst jetzt bemerkte er den Grund für die Verzögerung.
Zugleich waren aufmerksame Zuschauer im Laufschritt herangeeilt. Kaum hatten sie
den Wagen einen Meter angeschoben, sprang der Motor an. Mit viel Gas und
schleifender Kupplung fuhr Mark auf den Kurs. Bis kurz vor der Einführungsrunde
durften sich die Mechaniker und andere Teammitglieder bei den Wagen auf der
Start- und Zielgeraden aufhalten. Pressevertreter und VIP-Leute hatten ebenfalls
Zugang. Als Michael und Frank ankamen, war Mark bereits wieder ausgestiegen und
hing kopfüber im Motorraum. Wenig später konnte man drei Gestalten eifrig an
der Maschine hantieren sehen. Um zwölf Uhr fünfzig ertönte das erste Mal der
Signalton durch die Start- und Zielgerade, nun mussten wie üblich die
Presseleute und andere Personen, außer den Teammitgliedern, die Rennstrecke
verlassen. Weitere fünf Minuten waren vergangen bis der vorletzte Signalton
ertönte. Dies war das Zeichen für die Teammitglieder sich langsam von der
Strecke zu begeben. Denn bei dem letzten Ton, zwei Minuten später, mussten
alle, außer Fahrer und Rennwagen, von dort verschwunden sein. Das Drei-Minutenschild
wurde quer über die Fahrbahn getragen, nun wussten die Fahrer, jetzt gleich
würde es zur Einführungsrunde losgehen. Erneut wurden die Motoren gestartet.
Ein sehr kurzes zeitversetztes lautes Aufheulen der Motoren war nun zu hören.
Mit immer wieder auf das Gaspedal treten wurden die Maschinen in höhere
Drehzahlen gejagt. Auch Mark wollte diesem Startritual Folge leisten aber erneut
spielte sein Wagen nicht mit. Seine beiden Freunde und Mechaniker sprangen,
ohne groß überlegt zu haben, über die Boxenmauer und begannen den BMW von Mark
nach hinten zu schieben. Da er ja den letzten Startplatz hatte, konnte er von
weiter hinten angeschoben werden. Gut fünfzehn Meter weiter hinten angekommen,
kamen auch schon Mechaniker von anderen Teams zu Hilfe. Gemeinsam versuchte man
nun den Wagen durch Anschieben wieder in Gang zu bekommen. Die Zuschauer auf
der Haupttribüne hatten das Spektakel mitbekommen und fingen mit wahnsinnig
lauten Sprechchören an „Hoi, Hoi, Hoi“ zu schreien. Mit rund neun Mann am Heck
des Kirchheim Wagens ging es die fünfzehn Meter flott zurück. Die Zuschauer
wurden mit zunehmenden Metern immer lauter. Schon bald waren die übrigen
Motorengeheule nicht mehr zu vernehmen. Der Motor von Startnummer 25 war aber
von solchen Aktionen noch nicht zum Anspringen zu bewegen. Die Haltelinie für
Startplatz 26 war erreicht, aber der Motor lief immer noch nicht. Die neun Mann
waren sich sofort einig, dass es noch einmal versucht werden musste. Es waren
jetzt noch eineinhalb Minuten bis zum Start. Weitere drei Helfer versuchten
jetzt den Wagen zum Anspringen zu bewegen. Hinten angekommen ging es mit
vereinten Kräften wieder nach vorn. Als nur noch vier Meter bis zur Haltelinie
fehlten, ging das Starterfeld aus 25 Wagen bestehend, in die Einführungsrunde.
Die ersten waren bereits im Castrol-S verschwunden und die zwölf
Kirchheim-Wagen-Schieber waren schon auf dem Startplatz vor Marks angekommen
als das erste Zucken des Motors zu hören war. Noch immer galt das ganze
Interesse der Zuschauer der Startnummer 25. Weitere drei Meter vergingen als die
Maschine richtig aufheulte. Mark war heilfroh, dass er dem Feld in der besagten
Einführungsrunde hinterher hecheln konnte. Da sich das Fahrerfeld nur recht
langsam um den Kurs bewegte war Mark kurz nach der Dunlop-Kehre wieder bei den
anderen. Das Feld bewegte sich durch die Coca-Cola-Kurve, um noch einmal erneut
an den Haltelinien anzuhalten. Die Ampel wurde auf Rot geschaltet, bis nach
maximal fünf Sekunden grün erschien. Jetzt dauerte es nicht mehr lange und das
Dreiundsechzig-Runden-Rennen wurde auf die Reise geschickt.
Die Motoren heulten auch jetzt wieder vereinzelt auf, so auch Marks.
Die Ampel war rot. Die Nerven der
Fahrer zum Zerreißen angespannt.
Die Ampel war rot. Eine nicht mehr
auszuhaltende Anspannung nebst Herzrasen machte sich breit.
Die Ampel war rot, jetzt grün und
die Wagen setzten sich in Bewegung. Marks Wagen versuchte die ersten Meter
durch Bocksprünge zurückzulegen. Die Distanz zum Vordermann wurde immer größer.
Erst Mitte der Haupttribüne lief der Wagen richtig, als wäre nie etwas gewesen.
Doch die Aussichten auf das Castrol-S waren alles andere als rosig. Eine
riesige Staubwolke versperrte den Blick auf die Kurve. Als Mark am Anfangspunkt
der Kurve angekommen war, sah er nur noch Fragmente einzelner Wagen. Mit
starker Geschwindigkeitsverringerung fuhr er zwischen den Wagenwracks hindurch.
An der Fichtel und Sachs-Passage hatte sich der Staub schon wieder gelegt und
Mark konnte die Strecke wieder ganz sehen. Die dort stehenden Streckenposten schwangen
auch schon die roten Fahnen. Dies bedeutete Rennabbruch. In langsamer Fahrt
ging es nun weiter um den Kurs. An seiner Haltelinie blieb Mark nun wieder
stehen. Es würde wohl lange dauern bis der Kurs befahrbar war. Er zog den Helm
und den Kopfschutz vom Kopf als Michael und Frank sich näherten.
„Du hast jetzt gute Chancen weit
nach vorne zu fahren“, teilte Frank mit.
„Weiß man schon, wie viele ausgefallen
sind?“, erkundigte sich Mark.
„Weiß ich nicht, aber ich schätze
ungefähr die Hälfte.“
„Hauptsächlich die hinteren?“
„Nein, über das ganze Feld
verteilt.“
„Dabei hat der Rennleiter noch bei
der Fahrerbesprechung genau das angesprochen.“
Im Castrol-S befanden sich neunzehn Fahrzeuge. Alle ab dem fünften Startplatz
aufwärts. Mark hatte Recht mit dem, was er gesagt hatte. Das vom Rennleiter
angesprochene Chaos im Castrol-S war wieder einmal eingetreten. Erst ein Jahr
zuvor hatte es nicht anders ausgesehen. Auch jetzt war das Kiesbett umgepflügt
worden. Zumindest hatten einige dieses als letzten Ausweg genommen. Das genaue
Geschehen schauten sich die Renn-Kommissare in einer Wiederholung auf den
Monitoren an. Dabei war festzustellen, dass direkt vier Wagen nebeneinander auf
die erste Kurve zugeschossen waren. Selbst bei langsamer Fahrt wäre es nicht
einfach gewesen, mit zwei Wagen durch das Castrol-S zu fahren. Es war also
abzusehen, dass dies nicht gut gehen konnte. Die ersten beiden waren sich noch
einig, was die Reihenfolge betraf. Nummer drei war schon halb auf den Curbs und
halb im Kiesbett unterwegs. Der vierte war als erster Verursacher auszumachen.
Nach einer Vollbremsung hinter den drei anderen mussten die drei nächsten Wagen
ausweichen. Einer fuhr scharf rechts auf die Wiese, der andere konnte gar nicht
mehr ausweichen und drehte sich quer zur Fahrbahn. Dass er dort stehen blieb störte
den linken der drei noch nicht, denn der versuchte sein Glück im Kiesbett. Nach
anfänglichen Sprüngen, was zum Verlust des Frontspoilers führte, kam er keine
zehn Meter weit und blieb stecken. Die in dritter Reihe folgenden vier Rennwagen
hatten eigentlich kaum eine Chance, dem ganzen auszuweichen. Einer fuhr auch
rechts über die Wiese, was eine Menge Zeit kostete. Dem linken der vier blieb
nur das Kiesbett übrig. Somit stand er fast neben dem zuerst Hineingefahrenen.
Den anderen zwei konnte man es nicht verübeln, dass sie den quer zur Fahrbahn
stehenden Wagen vorne und hinten abrasierten. Das dies nicht ohne Verlust des eigenen
Vorderwagens ablief, kann man sich vorstellen. Auch sie drehten sich ein paar
Meter weiter und blieben liegen. Alle weiteren versuchten, durch vorsichtiges Abbremsen,
ihre Wagen um die havarierten Fahrzeuge zu steuern. Der einen Hälfte gelang es,
der anderen leider nicht. Sie fuhren in die Wagen, die im Kiesbett standen oder
nahmen noch ein paar Ecken von Fahrzeugen mit, die sich auf der Fahrbahn
befanden. Das eigentliche Wunder war, dass niemand ernsthaft verletzt wurde.
Alle vorbeigekommenen Fahrzeuge hatten sich inzwischen bei Start und Ziel eingefunden.
Die Renn-Kommissare kamen zu dem Schluss, dass es die Schuld der einzelnen
Fahrer war, warum sie in einer größeren Karambolage verwickelt worden waren.
Mark teilte Frank und Michael mit, dass er mal zu der Rennleitung ginge. Die
beiden lehnten sich an die Motorhaube und sahen dem Treiben zu, was jetzt
wieder vereinzelt auf der Start und Ziel-Geraden zu sehen war. Mark war
indessen durch das geöffnete Tor in der Boxenmauer in die Boxengasse gelangt.
Als er den Raum der Rennleitung betrat, waren schon einige Piloten anwesend.
Der Rennleiter drückte über das Geschehen seinen Unmut aus und wies aber darauf
hin, dass die Unfallverursachenden Fahrer auch in den Unfall verwickelt wurden.
Nach kurzer Unterredung mit einzelnen Piloten verließ man wieder den Raum und
begab sich zu den Fahrzeugen. Die Aufräumarbeiten im Castrol-S waren schon gut
vorangegangen. So dauerte es nicht lange bis das Zehn-Minutenschild erneut
gezeigt wurde. Dies bedeutete, dass es in zehn Minuten in eine erneute
Einführungsrunde gehen würde. Als Mark seinen Wagen erreichte, überprüfte Frank
zum x-ten Mal die Reifen. Diese Übervorsicht kam aus einer Zeit, wo er noch bei
einem anderen Team gearbeitet hatte. Dieses Team war genauso klein und besaß
dieselben Geldnöte wie das Kirchheim-Team. Es war an einem sonnigen Sonntagmittag
gewesen als Frank die Reifen vor dem Start überprüfen wollte. Aber der damalige
Rennfahrer hatte sich über Franks Vorsicht lustig gemacht. Auch hatte er zu ihm
gesagt: „Mensch, lass es doch mal sein. Du immer mit deiner Angst.“ Frank hatte
es daraufhin auch unterlassen. Das der Rennfahrer es genau eine Stunde später
bereuen würde, hätte er sich auch nicht träumen lassen. Ein Reifen platzte
damals und der Wagen überschlug sich mehrfach. Das Pech des Fahrers war es,
dass der Wagen auf dem Dach zu liegen kam. Leider dauerte es kaum den Bruchteil
einer Sekunde als der erste Konkurrent ungebremst in den Wagen hineinraste. Der
Fahrer wurde dabei lebensgefährlich verletzt und blieb für sein restliches
Leben an den Rollstuhl gebunden. Dieses grauenhafte Ereignis hatte Frank dazu geführt,
dass er die Reifen teilweise bis zu fünfzehn Mal vor einem Rennen überprüfte.
Mark und Michael störte es nicht. Eigentlich ganz im Gegenteil, denn Mark war
froh über diese Vorsicht. Wenn Frank ihn mit den Reifen auf die Piste ließ,
konnte er sicher sein, dass diese in Ordnung waren. So verlor er auch jetzt
wieder kein Wort darüber. Michael erkundigte sich nach den Geschehnissen bei
der Rennleitung. Als Mark mit seinem Bericht fertig war, wurde auch schon das
Fünf-Minutenschild gezeigt. Jetzt begann, wie schon beschrieben, wieder das gewöhnliche
Startritual. Vor Ablauf der nächsten drei Minuten mussten ja alle nicht am
Rennen Teilnehmende von der Start- und Zielgeraden verschwunden sein. Bevor das
Drei-Minutenschild gezeigt wurde waren auch die letzten Mechaniker hinter der
Boxenmauer verschwunden. Erneut wurden die Motoren gestartet. Einziger
Unterschied war, dass die Startnummer 25 nicht angeschoben werden musste. Marks
Motor sprang prompt an. Die restlichen 180 Sekunden verstrichen nur sehr
langsam. Als für Mark fast eine Ewigkeit vergangen war, kam das Signal zur
Einführungsrunde. Auch jetzt fuhr der Wagen bereitwillig los. Es wurden die
bekannten Punkte wie Castrol-S, Fichtel und Sachs-Passage, Ford-Kurve,
Opel-Kurve und so weiter durchfahren. Nach der Coca-Cola-Kurve bewegte sich das
Feld wieder sehr langsam zu den Haltelinien. Die Renndistanz wurde jetzt auf einundsechzig
Runden verkürzt. Als alle standen heulten die Motoren im Stand wieder auf.
Die Ampel war rot. Die Ungeduld und
Nervosität der Fahrer stiegen erneut an.
Die Ampel war rot. Marks Gedanken
waren jetzt wieder bei seinem Motor.
Die Ampel war rot, jetzt grün und
die Wagen setzten sich erneut in Bewegung.
Vor Marks Wagen fehlten drei
Fahrzeuge. Dieses freie Stück Rennpiste konnte Mark für einen guten Start nutzen.
Kurz vor der zweiten Fußgängerbrücke, die sich auf halbem Weg zwischen Start
und Castrol-S befand, hatte er schon vier Plätze gut gemacht. Im Castrol-S
einbiegend, überholte er erst den einen Konkurrenten rechts, in der darauffolgenden
Links-Kurve den nächsten links. Mit viel Überschussgeschwindigkeit ging es
jetzt die Fichtel- und Sachs-Passage herab. Die nächsten Staupunkte waren von
der Startnummer 25 mit geschicktem Heranbremsen so genutzt worden, dass bis zur
Coca-Cola-Kurve wieder vier Plätze gut gemacht werden konnten. Das dieses
Überholen in einer derartigen Form vonstattenging, musste einfach an dem vorausgegangenen
Massenunfall gelegen haben. Auf der Start- und Zielgeraden konnte Mark sich im
Windschatten an einen Konkurrenten heransaugen, um im Castrol-S dann an ihm
vorbei zu gehen. Als 26ter war er gestartet, um als eigentlicher 23ter erneut
zu starten. Jetzt, nur zwei Runden nach dem Neustart, war er schon zwölfter im
Rennen. Einige der anderen Wagen fielen aufgrund des Unfalls mit Folgeschäden aus.
So vergingen viele weitere Runden, in denen Mark hin und wieder noch einen
überholen konnte.
„Frank, drück die Daumen, dass die
Karre hält“, sagte Michael zu ihm.
„Lass uns die Daumen drücken und
ein Stoßgebet nach oben schicken.“
Kaum hatte Frank geantwortet, kam auch schon Mark um die Ecke, die Zielgerade
herunter donnernd. Er schaute kurz zu den beiden herüber und schon war er um
die nächste Ecke verschwunden. Es war nur eine kurze Weile verstrichen als der
Teamchef von Schneider Racing ein Schild über die Boxenmauer hielt. Dieses
Schild enthielt eine fassungslose Aufforderung. Beide Audi V8 Quattro vom
Schneider-Team sollten sofort an die Box kommen. Den Wagen war kein erkennbarer
Schaden oder ähnliches anzusehen als beide hintereinander die Boxengasse herab gefahren
kamen. So schüttelten auch beide Piloten die Köpfe. Der Teamchef wies beide
Fahrer mit ihren Wagen in die Box. Diese wurden daraufhin auch sofort mit den
vorhandenen Rolltoren geschlossen. Das Geschehen war so merkwürdig, dass alle
umliegenden Teams es nicht glauben wollten, was sie gerade mit eigenen Augen gesehen
hatten. Die Fahrzeuge hatten vor Rennaufgabe schließlich an siebter und neunter
Position gelegen. Nachdem die Rolltore herunter waren, wurden die Stimmen in der
Box laut. Nach einer Weile verstummten sie wieder und es trat eine hörbare
Hektik ein. Herr Bishelm von der Motorwelt Aktuell kam zu Michael und Frank und
erkundigte sich: „Wisst Ihr, was da los ist?“
„Nein, wir verstehen das auch nicht.
Die lagen doch gut“, antwortete Michael.
„Da stimmt doch was nicht“,
bemerkte Herr Bishelm.
„Also, einen Sinn ergibt das auf
gar keinen Fall.“
„Möchte doch zu gerne wissen, was
ein Team wie das Schneider-Team dazu bringt, die Wagen acht Runden vor dem Ziel
aus dem Rennen zu nehmen.“
„Merkwürdig, merkwürdig.“
Wie ein wildes Huhn kam auf einmal Jochen Heims angelaufen und rief: „Schneider
packt ein!“
„Was?“, fragten alle drei
ungläubig.
„Ja, die packen ein. Und wie eilig
die das haben.“
Man entschloss sich kurzer Hand, sich dies genauer anzusehen. Das hatten wohl
auch mehrere vor, denn plötzlich wurde es in Richtung Schneider-Box sehr voll.
Erstaunlicherweise musste das Schneider-Team nur noch die Wagen in die
Transporter schieben. Nach dem das geschehen war, verschwand das Team sehr schnell.
Alle noch Anwesenden waren der Meinung, dass dieses überstürzte Abreisen mit
etwas Schlimmem zu tun haben müsste.
Unbemerkt von den Vorkommnissen an der Box kam Mark drei Runden vor Schluss,
kurz vor der Veedol-Schikane, auf einmal von der Strecke ab. Er war etwas zu
weit über die Curbs gekommen und sein Heck brach aus, dabei drehte er sich
leicht und touchierte die Leitplanken. Glück im Unglück hatte Mark, weil er mit
der Beifahrerseite an der Planke vorbei schrappte. Er hinterließ dort etwas Lack.
Mit durchdrehenden Rädern und schleuderndem Heck ging Mark wieder auf die
Strecke. Michael und die anderen drei waren zu dem Zeitpunkt noch auf der
Rückseite des Boxengassengebäudes. Mark wunderte sich auch, dass nur wenige an
der Boxenmauer zu sehen waren. Noch mehr wunderte er sich, als er auf dem
Anzeigeturm, in der Dunlop-Kehre, sah, dass er um zwei Plätze nach vorne
aufgeschlossen hatte. Das bedeutete, dass er jetzt auf dem sensationellen achten
Platz war. Mit diesem Ergebnis beendete er das Rennen. Mark lenkte seinen BMW
in Richtung Boxengasse. Kurz vor dieser steuerte er das Fahrerlager an. Als er
die ersten paar Meter dort zurückgelegt hatte, erblickte er Michael und Frank.
Diese gaben ihm durch Handzeichen zu verstehen, dass man sich am Transporter
sehen würde. Mark fuhr mit langsamem Tempo in den abgesteckten Bereich des Parc fermé.
Dort mussten die Fahrzeuge verbleiben bis die Rennleitung dieses wieder freigab
und die Teams ihre Wagen abholen durften. Erfahrungsgemäß dauerte es eine halbe
bis dreiviertel Stunde. Nachdem er den Wagen abgestellt hatte ging er zum
Transporter, wo die drei schon auf ihn warteten.
„Wir sind achter geworden. Ich kann es noch
gar nicht glauben. ... Ich dachte, in
den letzten Runden wäre ich zehnter oder sogar nur zwölfter gewesen.“
„Tja, so kann man sich irren.
Spitze, Klasse!“, erwiderte Michael.
Frank und Michael erzählten Mark von den Geschehnissen rund um das Schneider
Racing Team. Als das Parc fermé einige Zeit später freigegeben wurde holte Mark
die Nr. 25 ab. Am Transporter angekommen, stoppte er unter dem
Pavillon. Zum einräumen des Transporters gab es ein festes Ritual. Michael und
Moni räumten alles ein bis auf den Rennwagen. Um diesen kümmerten sich Mark und
Frank. Um den sehr angeschlagenen Renner verladefertig zu machen mussten zum
Beispiel „normale“ Reifen montiert werden. Denn mit seinen Rennreifen hatte der
Wagen zu wenig Bodenfreiheit. Das hätte zur Folge gehabt, dass der Wagen nicht
in den Transporter geschoben werden konnte ohne mit dem Unterboden an der Transporter
Kante hängen zu bleiben. Solche Maßnahmen hatten hauptsächlich kleine Rennteams
zu bewerkstelligen, da sie nicht das nötige Geld für richtige Renntransporter hatten.
Als man mit dem Verladen fertig war unterhielten sich Frank und Mark mit zwei
vorbeikommenden Streckenposten. Diese wollten einiges über die
Startschwierigkeiten und den Startunfall wissen. Sie selbst hatten von dem
Geschehen nur gehört. Die vier brachen von der Rennstrecke auf. Kurze Zeit später waren sie auf der Landstraße
Richtung Autobahn. Von dort fuhren sie Richtung Ruhrgebiet, das heißt, genau nach
Gelsenkirchen. Dort hatten sie eine kleine Halle im Stadtteil Feldmark. Sie
selbst wohnten in der Nachbarstadt Essen. Nach zwei Stunden bogen sie in die
Straße „Am Bischhofsturm“ ein. Zweihundert Meter und sie hatten es geschafft.
Frank sprang aus dem Transporter, öffnete das Flügeltor und Michael fuhr in die
Halle hinein. Dort begannen sie mit dem entladen des BMW. Danach ließen Michael
und Frank den Wagen auf die einzige Hebebühne in der Halle hochfahren, die sich
hinten in der Ecke befand. Beide machten die erste Schadensauflistung. Mark war
mit dem herausräumen der übrig gebliebenen Ersatzteile beschäftigt.
Die rechteckige Halle hatte zwei Fenster auf der linken Seite und ein Fenster
rechts von dem Eingangstor. Wenn der Transporter in der Halle stand, war im
hinteren Bereich gerade noch Platz von zwei Autolängen. Links war die Hebebühne,
in der Mitte Platz für einen weiteren Wagen. Rechts befanden sich Werkzeug, Werkbank
und Maschinen zum Bearbeiten und richten von Wagenteilen. Das rechte Fenster
vom Eingangstor gehörte zu einem winzigen Büro. Ausreichend Platz war also nur
links vom Eingangstor vorhanden. Allerdings hatte sich dort einiges an Gegenständen,
die nicht mehr zu gebrauchen waren, angesammelt. Somit war selbst dieses kleine
Stückchen freier Raum belegt. Zwei weitere Ausgänge gab es noch. Links vor der
Hebebühne ging es zur Toilette. Das Waschbecken war rechts von der WC-Tür in
der Halle. Die zweite Tür hinten in der Mitte der Wand führte zum Hinterhof des
Häuserblocks. Diese war aber schon seit vielen Jahren nicht mehr geöffnet
worden. Nach einer Stunde verließen sie die Halle und stiegen in die Autos vor
dem Gebäude. Da Michael und Moni zusammenwohnten, fuhren sie auch mit ihrem
gemeinsamen VW Golf weg. Frank nahm seinen Ford Escort. Mark seinen sieben
Jahre alten Porsche 944 in weiß mit roten Streifen, den er sich von der
Erbschaft seines Opas geleistet hatte. Zuhause angekommen war er ein paar Meter
die Straße hoch in eine Kneipe gegangen, dort hatte er alte Freunde und
ehemalige Schulkollegen getroffen. Mit einem Bericht vom zurückliegenden Wochenende
und dem dazugehörigen Rennen war man schnell auf sehr viele Dinge zu sprechen
gekommen. Am Abend war er erst spät ins Bett gegangen.
Sonntag, 17.45 Uhr
In einem kleinen Ort bei Frankfurt am Main
Das Schneider-Team war hier zu
Hause. Nachdem man ausgeladen hatte, setzte sich das ganze Team im Besprechungsraum
der Firma zusammen, um über die Vorfälle der letzten beiden Tage zu reden. Herr
Schneider, der Firmeninhaber, machte ein besorgtes Gesicht. Nach ein paar
tiefen Seufzern fing er an zu erklären.
„Also, ich sollte euch jetzt
eigentlich etwas sagen, was nicht der Wahrheit entspricht. Mmh, wir sind nicht
wegen Rennlizenz-Probleme abgereist. Wir haben unsere Lizenzgebühren bezahlt!“
Er holte tief Luft und sprach sichtlich schwer weiter.
„Wir... werden..., ja also...
ERPRESST!“
Das erpresst schrie er förmlich heraus. Er war sichtlich erleichtert es ausgesprochen
zu haben. Die Teammitglieder waren sprachlos, erschüttert, einfach
konsterniert. Zwei Minuten langes Schweigen setzte ein. Eine eigentümliche Ruhe.
Keiner der Teammitglieder konnte auch nur einen Ton hervorbringen. Auch Herrn
Schneider war es jetzt lieber, nichts sagen zu müssen. Eigentlich hatte er ja
schon viel zu viel gesagt. Dass er das noch mal bereuen könnte, ahnte er
insgeheim. Er war mit seinen achtundfünfzig Jahren ein Mann, der Zeit seines
Lebens immer ehrlich war und es auch bleiben wollte. Sein Team hatte immer
hinter ihm gestanden. Er konnte diese Leute, die schon teilweise seit vielen
Jahren bei ihm waren, einfach nicht belügen. Auch wenn diese Ganoven es von ihm
verlangt hatten. Er wäre Gefahr gelaufen, sich morgens nicht mehr im Spiegel anschauen
zu können. Ein älterer Mechaniker riss ihn aus seinen Gedanken: „Boss, wie
geht’s jetzt weiter? Was machen wir denn jetzt?“

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