Taschenbuch:
ISBN: 9783756538539
Inhaltsangabe: Der Kriminalhauptkommissar Martin Lüpke, Spitzname Lüppi, macht mit seiner Familie Urlaub in der Toskana. Dabei will er die Identität einer Frau aus dem letzten Fall klären und begegnet zwei gesuchten Mafia Bossen. Mit Hilfe der örtlichen Polizei versucht er und seine Familie denen das Handwerk zu legen. Bei der Festnahme wird es sehr lebensgefährlich für sie. Währenddessen ermittelt sein Team Zuhause in Essen in einem besonderen Fall. In einem Keller wurde eine leblose Frau gefunden. Ihr Tod gibt viele Rätsel auf und die Frage muss geklärt werden, war es Mord.
Leseprobe: 1.
September 1995, Freitag, 10.30 Uhr Die vier Urlauber,
es waren Lüppi, Torti, Petra und Mario, befanden sich mit dem dreizehn
Jahre alten dunkelblauen Mercedes 230E, des Typs W123, seit den frühen
Morgenstunden nun auf der Autobahn 3. Sie waren um 5 Uhr in Essen losgefahren.
Lüppi hatte bis zu dem Zeitpunkt alleine am Steuer gesessen. Torti saß neben
ihm auf dem Beifahrersitz und das junge Pärchen auf der Rückbank. Lüppi
steuerte den nächsten Rastplatz an. Das war Aurach Süd auf der Höhe von Erlangen
kurz vor Nürnberg. Die Fahrzeit betrug mit zwei kleinen Staus bis dahin 5
Stunden. Es war der zweite Stopp an diesem Morgen. Alle vier mussten mal zur
Toilette und wollten einen Kaffee trinken. Etwas essen in Form von einem Brötchen
gefiel Mario und Lüppi auch gut. Das Tagesziel für den Tag war ein Hotel am
Tegernsee im Ort Bad Wiessee. Dort wollten sie übernachten und am nächsten Tag
bis zum Gardasee weiterfahren. Diese Fahrt würde dann circa 5 Stunden dauern.
Sie hatten von Mario viel vom Gardasee gehört, da die Eltern von ihm dort immer
einen Zwischenstopp eingelegt hatten, wenn sie in den früheren Jahren in die
Heimat, die Toskana, gefahren waren. Daher wollten auch sie dort eine weitere
Übernachtung einlegen. Bevor sie am dritten Tag bis zu dem Ort Figline Valdarno
fahren wollten. Diese Fahrt würde dann nur noch 4 Stunden dauern. Alle vier
freuten sich schon auf das vielbeschriebene Hotel Villa Casagrande. Es sollte
das beste am Ort sein, hatte es geheißen. Freitag,
10.35 Uhr Bernardo
Carbone und Michele Alessandro Mascali saßen zusammen am späten
Frühstückstisch. Das Frühstück bestand aus einem Croissant und einem Espresso.
Beide sprachen leise miteinander, damit andere nicht etwas mitbekamen. Sie
hatten von Giacomo, ihrem geheimen Mitarbeiter, erfahren, die beiden
kriminellen Polizeibeamte Axel Fuchs und Oliver Cramer, mit denen sie zusammengearbeitet
hatten, waren gefasst worden. Die Tatsache, dass sich in Deutschland nun das
Bundeskriminalamt der Sache angenommen hatte, ließ sie nicht beunruhigen, aber
sie wunderten sich schon darüber. Darüber sprachen sie. Freitag,
11.15 Uhr Heike, Gördi und
Björn saßen zusammen und die beiden schilderten ihm an Hand der zurückliegenden
Fälle die Ermittlungsarbeit der KK11. Erst zu dem Zeitpunkt erfuhr er von dem
ganzen Ausmaß des ‚Syndikats‘ und der acht Mordfälle. Das Telefon von Gördi schellte, Heike stand auf und ging
dran. „Kriminaloberkommissarin
Heike Buhrmann, guten Tag.“ „Hallo, Heike“, sagte der Wachhabende Polizist aus der Wache
von unten. „Es gibt eine Frauenleiche in Essen
Freisenbruch in der Straße Spervogelweg Nr. 10. Die Tote befindet sich in
ihrem Keller. Die Streifenkollegen sind vor Ort.“ „Alles klar, wir kommen“, sagte Heike. Nach etwas mehr als zwanzig Minuten waren die drei dort. Der
Streifenwagen der Kollegen stand am Straßenrand geparkt. Die Haustür war offen
und im linken Kellergang trafen sie auf die Kollegen. Speziell Björn wurde freundlich
empfangen. „Die Dame liegt hier“, sagte einer der beiden und zeigte in den
zweiten Kellerraum auf der rechten Seite. „Wisst ihr schon wer die Frau ist?“ „Der Mieter von Parterre links, der sie auch gefunden hat
meint, es wäre die Tochter der vor vier Wochen verstorbenen älteren Dame aus
der ersten über ihm. Die verstorbene Mutter hieß Hannelore Benning“, antwortete
einer der beiden. „Habt ihr die KTU verständigt?“, fragt Björn. „Aber, na klar doch“, kam die Antwort. „Hier am Vorhangschloss hängt ein Schlüsselbund“, meinte
Gördi. „Wir können uns ja mal in der Wohnung der Mutter umsehen.“ „Heike“, sprach Björn sie an. „Hast du schon die alten
Kartons gesehen, die hier in den Regalen liegen?“ „Schau mal die alten Holzkisten hier unten, das sind ja
sechs Stück“, erwiderte sie und zeigte mit dem Finger auf eine der Kisten. „Kannst du lesen was auf den Kisten steht?“, fragte Heike
ihren jüngeren Kollegen. „2-cm-Flak“, antwortete Björn. „Die sehen so aus, als wenn sie aus dem zweiten Weltkrieg
wären“, vermutete Heike. „Das sieht alles hier so aus, als wenn es aus der Zeit wäre.
Schau dir nur die Kartons an. Wann hast du schon einmal solche dicken Kartons
gesehen“, stellte Björn die Gegenfrage. „Was meinst du mit dicken Kartons?“, wollte Gördi aus dem
Kellergang wissen. „Die Materialstärke, woraus sie hergestellt
wurden. Solche dicken Materialstärken habe ich noch nie gesehen. Die sind für
die Ewigkeit gemacht.“ „Björn hat recht“, bestätigte Heike. „Die sehen wirklich
sehr stabil aus.“ „Gutem Morgen, zusammen“, sagte Horst Vollmer und kam mit seinem
jüngeren Kollegen Moris Veigel im Kellergang an. „Was haben wir denn hier?“, fragte Horst. „Also eines muss ich jetzt ja sagen“, fing
Horst an. „Ich weiß nicht wie lange es her ist zu einer toten Person gerufen
worden zu sein und Lüppi ermittelte oder leitete nicht den neuen Fall.“ „Schon sehr lange. Zumindest mehr als fünf
Jahre, denn so lange bin ich ja schon in der KK11“, antwortete Gördi. „Wer leitet denn jetzt die KK11, wo Lüppi
in Urlaub ist?“ „Das mache ich“, sagte Gördi. „Ich bin offiziell
der Stellvertreter.“ „Gut, dann fangen wir mal an“, sagte Horst und betrat mit
Moris den Raum. „Und wir gehen mal in die Wohnung der Mutter und sehen uns
dort um“, sagte Gördi. „Ist der Mieter von Parterre links in seiner Wohnung?“, fragte
Björn die Streifenkollegen. „Nein, er musste zur Arbeit“, antwortete der Streifenkollege.
„Er war hier unten im Keller, weil er sein Fahrrad herausholen wollte. Dabei
ist ihm die offenstehende Kellertür aufgefallen. Nachdem er hineingesehen hatte,
hat er denn Notruf in seiner Wohnung gewählt.“ „Er hat gesagt, er hätte diese Woche Spätschicht und wäre um
22.30 Uhr wieder Zuhause“, teilte der andere Kollege mit. Freitag,
11.20 Uhr Nach einer längeren
Pause fuhren die vier Urlauber weiter Richtung München. Petra saß nun am Steuer
und Lüppi hatte neben Mario auf der Rückbank Platz genommen. Die nächsten
eineinhalb Stunden fuhren sie nun bis zur Münchner Umgehungsautobahn A99. Von
dort würden sie noch einmal eine Stunde fahren bis sie am Zielort der ersten Etappe
ankamen. Eine Übernachtung in zwei Doppelzimmern hatten sie im Hotel Terrassenhof
am Tegernsee gebucht. Die Fahrt bis zur A 99 verlief ruhig, erst dort wurde es auf
der Autobahn voll. Im zähfließenden Verkehr dauerte es eine Zeit bis die vier die
A8 in Richtung Rosenheim, Chiemsee und Salzburg erreichten. Der A8 folgend, verließen
sie bei dem Ort Holzkirchen die Autobahn und folgten der Bundesstraße 318 bis zum
Ort Bad Wiessee. Freitag,
11.25 Uhr Bernardo
Carbone und Michele Alessandro Mascali waren fertig mit ihrem überschaubaren
Frühstück und verließen das Hotel in Richtung Innenstadt. Sie gingen an den
Straßencafés auf dem Plazza Marsilio Ficino vorbei und sahen sich die Geschäfte
in der Straße Corso Matteotti an. Dabei sprachen sie über nicht verdächtige Verstecke
zum Transport der neuen Ware. Ziemlich in der Mitte der Straße auf der linken
Seite war ein Rolltor halb hochgezogen. Hammerschläge auf Metall waren von dort
zu hören. Viel sahen die beiden nicht, nur etwas kleines Rotes. Beide sahen
sich fragend an und wollten wissen, was das denn wäre. Da sie beide neugierig
waren bückten sie sich, um unter das halb hochgezogene Tor in die Halle sehen
zu können. „Buon giorno“, sagte Michele als er in gebückter Haltung die
kleine Werkstatt betrat. „Buon giorno!“, rief er nun lauter als zuvor. „Wir wollten uns einmal den Wagen ansehen“, sagte Michele. „Der ist nicht zu verkaufen“, erwiderte der ältere Mann
sofort. „Wir wollen auch gar nicht kaufen, sondern nur mal schauen.“ „Va bene (In Ordnung).” „Was ist das für ein FIAT?“, fragte Bernardo. „Das
ist kein FIAT, sondern ein Abarth 1000“, klärte der ältere Herr auf. „Dürfen
wir einmal zu Ihnen kommen?“, wollte Michele wissen. „Sì“,
antwortete er nur kurz. „Sì mio dio
(Ja, mein Gott), nun bückt euch doch mal.” „Unter den Wagen durch?“, fragte Bernardo entsetzt und schaute auf seinen hellen Anzug
hinab. „Wenn
ihr hierher wollt, dann bleibt euch beiden wohl nichts anderes übrig. Seid aber
vorsichtig, der große kleckert ein wenig“, sagte der ältere Herr und beide
sahen auf dem Boden die Öllache. „Wir
kommen die Tage noch mal“, sagte Michele und ging in gebückter Haltung unter
dem halb hochgezogenen Rolltor wieder zurück auf die Straße Corso Matteotti. „Addio“, sagte Bernardo und folgte seinem Freund.
Freitag,
12.45 Uhr Die drei waren dabei
sich in der Wohnung von der verstorben Hannelore
Benning umzusehen. Heike war in der Küche, Gördi im Wohnzimmer und Björn im
Schlafzimmer zu Gange. Heike rief laut durch die Wohnung. „Ich habe die Handtasche der Tochter entdeckt. War im Schrank
versteckt.“ „Toll!“, rief Gördi zurück. „Klasse!“, rief auch Björn. „In ihr befindet sich das Portemonnaie“, fügte Heike an. „Das ist ja super“, ließ Gördi von sich hören. „Dann schau doch mal hinein“, gab Björn den Hinweis. „Was meinst du, was ich gerade mache?“, stellte Heike die rhetorische
Gegenfrage. „Auf eine Anweisung von mir warten“, antwortete ihr Gerhard
keck. „Ja, nee, ist klar. Danke auch!“, erwiderte Heike. „Und?“, fragten Gördi und Björn gleichzeitig aus zwei verschiedenen
Zimmern. „Mit Personalausweis und Führerschein.“ „Und wer ist die Tote?“, fragte Gördi. „Die Tochter heißt Evelyn Peterschal“,
rief Heike durch die Wohnung. „Sie ist von 1943, also 52
Jahre alt.“ „Das ist doch schon einmal ein Anfang“, meinte Björn. „Ich
habe auch etwas.“ „Genau, das mag er
nämlich gar nicht“, fügte Gördi noch an. „Du bist aber nicht der
Lüppi!“, antwortete Björn. „Gut, dass du mir
das sagst und ich habe schon den ganzen Vormittag meine Baseballkappe
der New York Yankee gesucht. Dann muss ich
mich ja gar nicht wundern, dass ich keine habe, wenn ich nicht der Lüppi bin“,
sagte Gördi und ging zu ihm ins Schlafzimmer, wo bereits seine Heike schon
stand. „Seht mal hier“, sagte Björn. „Hier ist ein Dokument, wo ein Walther
Halmer sich als Vater des Mädchen Evelyn Benning angibt.“ „Das Schreiben ist von 1966“, stellte Heike fest. „Genau und die Evelyn wurde in dem Jahr 23 Jahre alt“, sagte Björn. „Geht denn daraus hervor was mit dem Herrn Benning passiert ist?“,
fragte Gördi. „Da habe ich eine Bestätigung gefunden, der Hubert Benning ist am 5. Juni 1943 in Russland gefallen“, sagte Björn. „Die
Tochter hat Kriegs-Waisenrente bezogen.“ „Nimm den Ordner mit“, sagte Gördi. „Hast du sonst noch etwas
entdeckt?“ „Nichts Interessantes, bis jetzt. Ich schau weiter, ich war
noch nicht überall“, erwiderte Björn. „Dann schau dich noch weiter um und wir zwei gehen mal zu Horst
und Moris“, sagte Heike. Freitag,
13.00 Uhr Bernardo
und Michele waren weiter durch den Ort spazieren gegangen. Sie unterhielten
sich darüber wie sie die Ware ihres eventuell neuen Geschäftspartners ins Ausland
bekommen könnten. Es müsste etwas sein, was zuvor noch niemand anderes getan
hatte. Während beide so darüber nachdachten und dabei weiterliefen waren sie ohne
ein Ziel zu haben einfach drauflos gegangen und am Ortsende angekommen. Auch
hier war eine Autowerkstatt wie im Ort selber. Diese war aber viel größer.
Beide näherten sich der Halle und sahen wie zwei Männer mit einer Flex ein Auto,
ein Cabrio um genau zu sein, in zwei Teile schnitten. Vorne war der Wagen durch
einen Frontal-Unfall zerstört worden. Als beide dort ankamen brach der Wagen in
zwei Teile. Das Heck des Wagens fiel auf die hintere Stoßstange und der vordere
Teil auf die zerstörte Front. Bernardo stupste Michele an. „Was willst du mir zeigen?“, fragte dieser zurück. „Siehst du den Hohlraum, der dort zu sehen ist?“ „Ja, sehe ich, und?“, fragte Michele. „Das wäre doch eine schöne Stelle zum Schmuggeln.“ „Zum Schmuggeln? Du meinst die seitlichen Schweller eines
Autos könnte man zum Schmuggeln verwenden?“ „Ja, schau nur, wieviel Platz dort in den Schwellern ist“, meinte
Bernardo. „Und
wie willst du darankommen? Möchtest du alle Autos aufschneiden und hinterher wieder
zusammenschweißen?“ „Vielleicht
kann man ja auch von innen oder von unten ein unauffälliges Loch hineinschneiden
und die Päckchen an einer Schnur in das Loch und somit in die Schweller
schieben. Am Zielort braucht man dann nur noch an der Schnur ziehen“, sagte
Bernardo und sah seinen alten Freund an. „Klingt
jetzt gar nicht so dumm. Sollten wir auf alle Fälle im Hinterkopf behalten“,
meinte Michele. „Komm las uns mal hingehen und einen Plausch halten. Vielleicht
erfahren wir ja was Näheres dazu.“ „Das wollte ich vorhin in der kleinen Werkstatt ja auch.“ „Ich weiß, aber das war mir dort zu dreckig für meinen
Geschmack.“ „Buona giornata“, sagte Bernardo freundlich. „Dürfen wir einmal stören?
Wir haben so etwas noch nie gesehen. Passiert das öfter, dass ein Auto zerteilt
wird?“ „Hin und wieder, warum fragen Sie?“, fragte der ältere der
beiden, der auch der Chef war. „Nur aus reiner Neugierde. Was passiert jetzt mit den beiden
Autoteilen?“, fragte Michele. „Das Hinterteil hier kommt an ein Vorderteil von einem
anderen Spider, der hinten kaputt ist. Zusammen werden die zwei Teile wieder
ein tolles neues Auto.“ „Sieht man das hinterher nicht?“ „Nein, natürlich nicht. Der Wagen wird frisch lackiert und
danach sieht keiner mehr, dass es sich mal um zwei verschiedene Fahrzeugteile gehandelt
hat. Wenn das richtig verschweißt ist, ist das so, als wenn es ab Werk ist.“ „Ist das denn nicht viel Arbeit?“ „Es kommt auf die beiden Fahrzeuge an. In dem Fall lohnt
sich der Aufwand.“ „Weil es ein Cabrio ist?“, fragte Bernardo. „Ja
und weil es ein Spider ist.“ „Ein
Spider? Ich dachte an Hand des Emblems, es wäre ein Alfa Romeo?“ „Ist
ja auch ein Alfa Romeo, das Modell heißt Spider“, antwortete wieder der ältere
und ergänzte noch. „Sie scheinen sich aber mit Autos gar nicht auszukennen.“ „Das
stimmt, von Autos habe ich keine Ahnung“, gestand Bernardo. „Einen Führerschein
habe ich auch nicht.“ „Was ist denn so ein Spider wert, wenn er fertig ist?“, erkundigte
sich Michele. „Na, so ungefähr 50.000.000 Lire (25.800 EUR)“, antwortete der
Ältere. „Und wird der Wagen anschließend dann ganz normal verkauft?“ „Nicht ganz, dieser Spider geht ins Ausland.“ „Ah, ja, die Nordeuropäer stehen auf Alfa Romeo“, wusste Michele
zu berichten. „Ja, die sind ganz heiß auf Fahrzeuge von Alfa“, antwortete
der jüngere Mechaniker. „Bezahlen die dann auch besser?“, fragte Bernardo. „Ja,
auf jeden Fall. Hier würden wir nur die Hälfte für den Wagen bekommen“, sagte
der ältere. „Sehr
interessant.“ Freitag,
13.15 Uhr Als die beiden im Kellergang
ankamen, waren Horst und Moris mit der Spurensicherung fertig. Horst winkte die
beiden zu sich in den Kellerraum. Heike ging vor, Gördi blieb etwas zurück. „Ja? Hast du schon
eine Idee, warum Evelyn Peterschal gestorben ist?“, fragte Heike. „Nein, noch nicht und werde ich auch nicht haben, aber seht mal selbst,
ob euch auch etwas auffällt?“, erkundigte er sich, wobei er mit einer Lampe der
Verstorbenen ins Gesicht und auf die Arme leuchtete. „Sie sieht sehr blass aus“, machte Heike die Feststellung. „Ganz genau und was uns noch aufgefallen ist, sie scheint eine Zigarette
geraucht zu haben“, sagte er und sah Heike erwartungsvoll an. „Ist das jetzt etwas Besonderes?“, fragte Gördi aus zwei Metern Entfernung. „Die Tatsache, dass sie geraucht hat noch nicht, wie wir annehmen, aber wir
gehen davon aus, es waren diese dort“, antwortete Horst und zeigte auf mehrere Schachteln
Zigaretten, die sich in der offenen Flak-Kiste befanden. „Schachteln mit einer jungen Frau vorne drauf? Was ist das für eine
Marke?“, fragte Heike. „Das ist die Marke ‚Fräulein‘ und bitte frag mich nicht, was die ‚88‘ auf der Packung heißen soll.“ „Gib mal bitte eine“, bat Heike. „Nein, das werde ich nicht tun. Ich habe ein ungutes Gefühl
bei den Zigaretten“, gab Horst an. „Das Zigaretten tödlich sein können, das wissen wir… „Jetzt bitte im Ernst. Die verstorbene hat anscheinend die
alte Militärkiste geöffnet und hat offensichtlich die Zigarettenschachteln
gesehen und wollte sie einmal probieren. Was sie auch getan hat. Auffällig ist
unseres Erachtens nach, sie muss gestorben sein als sie sich diese Zigarette
dort, die jetzt auf dem Boden liegt, angezündet hat. Wäre es eine Zigarette von
heute, würde ich jetzt nichts sagen, aber es ist eine über fünfzig Jahre alte und
dann auch noch aus Kriegszeiten.“ „Ist das jetzt dein Ernst, Horst. Machst du dir darüber Gedanken,
dass diese Frau am Rauchen gestorben ist?“ „Ich möchte auf jeden Fall vorsichtig sein.“ „Wir haben Frau Doktor hierhergebeten“, fügte Moris an. „Unsere Rechtsmedizinerin Dr. Schneider kommt zum Tatort?“,
fragte Gördi ungläubig. „Wir halten es für sinnvoll“, gab Horst zu. „Okay“, sagte Heike erstaunt. An dieser Stelle ist festzuhalten, die Tatsache, dass die Rechtsmedizin
an einem Tatort erscheint, ist alles andere als normal. Genau das Gegenteil ist
der Fall. Es kommt nur sehr, sehr selten vor, dass die Rechtsmedizin dort zu sehen
ist. In vielen Filmen erscheint die Rechtsmedizin immer an einem Tatort, das
ist erlernter Standard, nur genau das ist in Wirklichkeit nicht der Fall. Die
Mitarbeiter/-innen von der KTU erledigen die Spurensicherung, übernehmen eine erste
grobe oberflächige Leichenschau und lassen den Leichnam von einem
Bestattungsunternehmer abholen und zur Rechtsmedizin bringen. Wenn es dann und wann
mal vorkommt, dass, wie in dem Fall, die Rechtsmedizinerin zum Tatort gerufen
wird, ist das schon eine Ausnahme. Daher die Verwunderung der beiden, dass der Leiter
der Kriminaltechnische Untersuchungsstelle es für sinnvoll hielt, die Rechtsmedizin
kommen zu lassen. „Wenn ihr zwei es wirklich für notwendig haltet, dass unsere
Stefanie hierherkommt, dann sollten wir zwei uns jetzt mal von hier entfernen,
sonst hat Nina womöglich keine Eltern mehr“, traf Gördi die Aussage. „Mein lieber Gerhard“, fing sie an und sagte weiter. „Jetzt dramatisiere
es doch nicht direkt. Die Frau ist tot und sitzt auf dem Boden. Okay. Sie hat
sich möglicherweise eine Zigarette angesteckt. Auch okay. Diese mag ja auch
fünfzig Jahre alt sein und aus dem Krieg stammen. Von mir aus. Aber jetzt entschuldigt
mal bitte ihr drei, was soll denn da jetzt so tödlich gewesen sein. Ich habe
noch nie gehört, dass alter Tabak mit der Zeit irgendeine Substanz erzeugt, wovon
man dann tot umfällt. Eure Vorsicht in allen Ehren, aber jetzt übertreibt ihr
es.“ „Ich habe dabei wirklich ein ungutes Gefühl“, sagte Horst. „Jetzt lasst die Kirche bitte im Dorf“, sagte Heike und kam
sich langsam verarscht vor. „Wie auch immer, ihr zwei verlasst jetzt bitte meinen Tatort“,
griff Horst nun durch. „Wenn Stefanie hier war, der Leichnam abtransportiert
ist gebe ich ihn wieder frei, jetzt aber noch nicht. Schluss jetzt.“ „Heike, lass uns noch mal in die Wohnung zu Björn gehen“,
sagte ihr Gerhard. „Was hast du da?“, fragte Gördi. „Einen Stapel Briefe, die ich im Kleiderschrank in der hintersten
Ecke gefunden habe. Darauf lag eine Wolldecke“, antwortete er. „Und was sind das für Briefe?“, fragte Heike nach. „Bis jetzt sind es alles Briefe von ihrem Mann Hubert und einige
von Walther Halmer. Die von ihrem Mann sind alle sogenannte ‚Feldpost‘ von der
Front. Der letzte Brief an Hannelore ist vom 30. Dezember 1944. Den Brief hat
sie erst einen Monat später bekommen. Da war Hubert bereit tot. Das, was er
hier schreibt, ist echt fürchterlich. Ich habe einen Kloss im Hals, wenn ich das
hier lese. Absolut grauenhaft kann ich euch sagen“, berichtete er und beide
sahen ihm an, er war wirklich betroffen von dem Inhalt. „Und was schreibt der Walter so?“ „Ich habe sie nur überflogen. Kann ich noch nicht sagen. Ich
bin zuerst hingegangen und habe die Briefe nach Datum sortiert.“ „Zeig mal bitte“, bat sie und ließ sich die von Walter Halmer
an Hannelore Benning geben. „Der Brief ist vom 10. Mai 1943.“ „Das ist der erste von zehn Briefen. Sie
waren alle durcheinander in einer Plastiktüte“, sagte Björn. „Wir sind fertig und würden den Keller jetzt versiegeln.
Wollt noch einmal hinein?“ „Ist die Verstorbene schon abgeholt worden?“, erkundigte
sich Gördi. „Ja, vor fünf Minuten. Frau Dr. Schneider ist auch gerade
weg.“ „Und was hat sie gesagt?“ „Das Horst mit seinem Verdacht vielleicht recht hätte. Sie konnte
aber noch nicht sagen, was es genau ist. Sie glaubt an eine Art Vergiftung. Sie
sagte. ‚Wie immer, mehr nach der Obduktion‘.“ „War zu erwarten.“ „Und, möchtet ihr noch einmal in den Keller oder können wir
ihn versiegeln?“ „Versiegelt ihn bitte. Danke schön“, sagte Gördi. „Nichts zu danken.“ „Stefanie glaubt, die Tote könnte vergiftet worden sein.“ „Lasst uns zu den Ordnern zusätzlich noch die Briefe mitnehmen“,
sagte Björn. „Machen wir.“ Freitag,
14.15 Uhr Alle vier waren angekommen
und hatten ihre zwei Zimmerschlüssel bekommen. Für die zwei Zwischendurch-Übernachtungen
hatten sie extra zwei Reisetaschen gepackt, damit nicht der halbe Kofferraum ausgeräumt
werden musste. Nun standen die beiden, Torti und Lüppi, auf dem Balkon mit direktem
Blick auf den Tegernsee. Zwischen ihnen und dem See lag nur der Fußweg ‚Seepromenade‘. Ein längerer Steg ging einige Meter weit ins Wasser. Wie sie später sahen
legten dort Schiffe an, die nach Rottach, zum südlichen Ende des Sees und nach
Gmund am Tegernsee, am nördlichen Ende, fuhren. Auch konnte man anscheinend zu
dem schräg gegenüber liegendem Ort mit dem Schiff fahren, mit dem gleichen
Namen wie der des Sees. Den Blick nach links auf den See richtend war ein Bootshaus
im Wasser zu sehen. Einige Boote lagen an kleinen Stegen im See drum herum. Gegenüber
waren kleinere Berge zu sehen und als ihre Blicke zum südlichen Ende gingen,
waren für beide auch höhere Berge sichtbar, die eine leicht weiße Krone trugen. „Ich liebe dich,
mein Schatz“, sagte er zu ihr. „Ich liebe dich auch,
mein Liebling“, erwiderte sie. „Schau mal, das ist gedeckter Apfelkuchen mit Sahne“, machte
er darauf aufmerksam. „Den möchtest du bestimmt nachher auch haben?“, fragte sie
ihn. „Au, ja, sehr gerne, mit einer richtig leckeren Tasse
Kaffee.“ „Ich habe dich sehr lieb.“ „Ich liebe dich auch sehr, mein Mario.“ „Och, steht ihr zwei schon länger dort?“, fragte Petra. „Ja, schon seit einiger Zeit vor euch“, antwortete Torti. „Wir haben euch gar nicht bemerkt.“ „Das haben wir gesehen“, bestätigte Torti und fragte. „Ist
der Ausblick nicht wundervoll?“ „Wie sieht es bei euch aus, kommt ihr mit eine Runde durch
den Ort drehen?“ Freitag,
15.35 Uhr Heike, Gördi und
Björn saßen an ihren Schreibtischen und schauten sich die Aktenordner an während
Björn die Briefe las und eine Art zeitliche Aufstellung erstellte. Darauf hatte
Gördi ihn gebracht, da Lüppi in solchen Fällen immer so etwas machte. Die Bürotür
stand auf und Eckerhard kam herein um zu erfahren, was das für ein neuer Fall
sei. Gördi klärte ihn auf und unterließ es auch nicht, ihn auf die Vermutung
von Horst Vollmer aufmerksam zu machen. Heike reagierte darauf gar nicht
mehr, sondern verdrehte nur ihre Augen, sagen tat sie nichts zu dem ‚Mumpitz‘,
wie sie es bezeichnete. Gördi ließ sich davon nicht beirren und vertraute auf
Horst Vorahnung. „Dann sind wir mal gespannt was die KTU und Rechtsmedizin nächste
Woche so herausfinden“, meinte Eckerhard. „Davon habe ich schon gehört. Zuletzt hat er den doch im Fall Erik Metzer erstellt“, wusste Björn. „Ja, genau richtig. Das war der letzte Fall, wo er seinen
bekannten ‚Zeitstrahl‘ erstellt hat. Das ist also auf keinen Fall verkehrt, wenn
Sie jetzt einen erstellen. Lüppi wird sich freuen, wenn er wiederkommt und
sieht, sie sind seinem Beispiel gefolgt.“ „Das freut mich“, sagte Björn und Eckerhard ging wieder.
Freitag,
16.00 Uhr Die
beiden alten Freunde, Bernardo und Michele, waren inzwischen von ihrem langen
ausgiebigen Spaziergang zurück. Sie hatten sich einen Schattenplatz im Laubengang
gesucht, der an dem Garten der Villa Casagrande entlangführte. Dort würden
beide nun sitzenbleiben bis sie zu Bett gingen. Um 21 Uhr nahmen sie ein Pasta
Gericht mit einem bunten Salat, dazu einen Rotwein aus der Gegend, zu sich. Den
restlichen Abend bis um 23 Uhr verbrachten sie am Tisch sitzend. Als sie aufstanden,
gingen sie noch einmal eine kleine Runde um Villa Casagrande herum, um sich danach
in ihre beiden Zimmer zurückziehen. Bernardo las ein Buch im Bett und Michele machte sich
am kleinen Schreibtisch auf seinem Zimmer Notizen, dabei überlegte er, ob ihm
noch andere Möglichkeiten einfallen würden. Freitag, 17.15 Uhr
Lüppi ließ die
Rechnung auf seine Zimmernummer schreiben und alle vier gingen auf ihre Zimmer.
Dort blieben sie und entspannten sich, bis es um zehn vor sieben an der Zimmertür
von Torti und Lüppi klopfte. Es waren die beiden, die sie abholen wollten. Im ‚Stüberl‘
hatten sie einen Tisch in einer der Ecken bekommen. Zu essen hatten sich alle
etwas Typisches aus der Region ausgesucht, etwas was sie im Ruhrgebiet nicht im
Restaurant bekamen. Die vier blieben bis kurz vor zehn am Tisch sitzen, danach
begaben sie sich auf ihre Zimmer, um zu schlafen. Alle vier waren müde, da sie ja
schon um 4 Uhr aufgestanden waren. Freitag, 19.15 Uhr
Heike war dabei zu kochen, während Gördi sich die
Hausaufgaben von Nina ansah. Nina war etwas verblüfft darüber, was sie auch
sagte. „Papa, kannst du mir mal verraten was das wird?“ „Was meinst du?“, fragte er zurück und wusste natürlich was
sie meinte. „Warum schaust du dir meine Aufgaben an? Das hast du ja noch
nie getan?“ „Weil ich für dich verantwortlich bin und möchte, dass du
auf dem Gymnasium gut zurechtkommst.“ „Aber in der Grundschule hast du dich auch nicht für meine
Aufgaben interessiert“, machte sie die Feststellung. „Da hast du recht, das hat deine Mutter statt meiner getan.
Sie ist jetzt nicht mehr da und daher sehe ich sie mir jetzt an.“ „Ach, Papa, bist du aber naiv!“ „Was meinst du mit, ich bin naiv? Hat deine Mutter nicht
nach deinen Hausaufgaben gesehen?“ „Nö, hat sie nicht.“ „Du meinst nicht regelmäßig, sonst schon?“ „Nein, ich meine nie“, antwortete sie, machte ein Pause und
ergänzte noch. „Und ich meine nie, überhaupt nie! Nicht einmal in den vier Jahren.“ „Ist das wirklich so gewesen, Nina? Hat deine Mutter sich nie
dafür interessiert, was du für Hausaufgaben aufhattest?“ „Nein, nie. Sie meinte immer, da müsse ich selbst durch, ihr
hätte früher auch niemand geholfen.“ „Ich glaube, mich trifft der Schlag“, sagte Gördi. „Man Papa, du hast ja gar keine Ahnung“, machte Nina eine
weitere Feststellung. „Das scheint mir jetzt auch so. Ich habe mich auf deine
Mutter verlassen, sie war ja immer Zuhause.“ „Sich auf meine alte Mutter zu verlassen heißt, verlassen zu
sein“, erwiderte Nina, sah ihren Vater an und fragte. „Du hast eine sehr schöne Handschrift.“ 2.
September 1995, Samstag, 10.00 Uhr Die drei, in Form
von Heike, Nina und Gördi saßen am Frühstückstisch. Das Thema kam noch einmal
auf die Hausaufgaben und das Interesse von ihrem Vater. „Papa“, sprach Nina ihn
an. „Du willst also ab jetzt dir nicht jeden Tag meine Aufgaben ansehen?“ „Mmh… nein, nicht
jeden Tag.“ „Habe ich es mir
doch gedacht, auch dir ist es zu viel.“ „Das siehst du falsch.
Du hast mich gefragt, ob ich jeden Tag und so weiter und ich habe geantwortet, nein
nicht jeden Tag. Samstags und sonntags nämlich schon mal nicht.“ „Und in den Feiern auch
nicht… nee, ist gut“, antwortete Nina und zog einen Schmollmund. „Sollen wir heute noch
ein paar Sachen aus dem Haus holen?“, erkundigte sich Heike. „Wir sollten alles
holen oder wegschmeißen“, war Ninas Meinung. „Wie meinst du das?“,
fragte ihr Vater. „Und das blöde Haus
verkaufen. Das ist doch viel zu teuer, wenn da keiner drin wohnt“, sagte Nina
weiter. „Echt jetzt? Damit habe
ich nicht gerechnet“, gestand Gördi. „Was habe ich dir gesagt?“,
fragte Heike in Richtung ihrem Gerhard. „Ich sage euch
beiden auch warum ich möchte, dass wir das blöde Haus verkaufen…“ „Und warum?“ „Damit du, Papa, mir
nicht noch einmal auf die Schnapsidee kommst, wir könnten dort einziehen. Ich
ziehe nämlich hier nicht mehr weg. Ich bleibe ab jetzt immer bei Torti und
Lüppi wohnen.“ „Das habe ich
inzwischen verstanden“, sagte ihr Vater. „Das klingt doch
schon gut“, fand die 10jährige. Samstag,
12.15 Uhr Die vier Urlauber
waren um 7.30 aufgestanden, um auf Bitten von Lüppi um 8.30 Uhr zu frühstücken.
Es gab eine Riesenauswahl am Frühstücksbuffet, wie Torti fand. Um kurz vor zehn
hatte Lüppi die Rechnungen bezahlt und sie waren aufgebrochen. Das Reiseziel
für den Tag war der Gardasee. Im Ort Riva del Garda hatten sie im „Das ist jetzt das erste
Mal, dass ich Deutschland verlassen habe.“ „Hier in Innsbruck
gibt es das Goldene Dachl. Das sehen wir uns auf der Rückfahrt an.“ „Was genau ist das?“,
fragte Petra. „Das Goldene Dachl ist
in der Innsbrucker Altstadt und ein spätgotischer Prunkerker“, wusste Torti zu berichten. „Wau, Mama, was du alles weißt.“ „Ja und dabei war ich nur einmal mit deinem Vater in Österreich,
nämlich in Salzburg. Vorher war ich auch nur ein paar Mal in Venlo und zweimal am
Strand in Holland.“ „Ich war noch nie in Holland“, sagte Petra. „Ja, wirklich. Oma und Opa hatten kein Auto und der Weg mit dem Zug war
ihnen zu weit. Ich habe in meinem ganzen Leben nur drei Mal Urlaub gemacht. Das
erste Mal war ich mit meiner Mutter und Oma und Opa im Sauerland, in
Schmallenberg, da war ich 6 Jahre alt. Erinnern kann ich mich daran nicht. Mit
10 Jahren waren wir im Westerwald und einmal in Lembruch am Dümmer See. Ich war
richtig stolz als ich nach den großen Ferien in der 8. Klasse wieder in die Schule
kam und von meinem Urlaub erzählte. Mein Gott haben die anderen mich angesehen.
Man war das peinlich für mich damals. Heute sehe ich das anders, aber mit 14
Jahren… “ „Wo waren denn deine Mitschüler so?“, fragte Lüppi. „Zum Beispiel auf Malle, auf Ibiza, am Timmendorfer Strand, auf Borkum und Gerd,
der Überflieger in unserer Klasse, er war mit seinen Eltern in San Francisco. Könnt
ihr euch vorstellen, wie das für mich war, als ich mit dem Dümmer See ankam.
Keiner von denen wusste überhaupt wo sich der See befand.“ „Wie seid ihr dort hingekommen?“, wollte Torti wissen. „Uns hat der Hotelbesitzer abgeholt und nach zwei Wochen wieder zurückgebracht.
Oma und Opa hatten dafür sparen müssen, damit wir uns das leisten konnten. Sie haben
vier Jahre lang den Pfenning umdrehen müssen.“ Um Punkt 12 Uhr überquerten die vier die österreichisch- italienische
Grenze. „Das ist jetzt der Brenner“, hatte Mario gesagt und Lüppi hatte gemeint, er
habe ihn sich anders vorgestellt. „Mein Gott, Lüppi, ist das schön hier.“ „Da hast du recht, das ist ein geniales Panorama.“ „Ich frage mich gerade, warum wir nicht schon früher hier waren.“ „Das habe ich mich auch gerade gefragt. Wenn man das hier sieht, ist es umso
ärgerlicher nicht früher hier Urlaub gemacht zu haben und hier gewesen zu sein“,
bestätigte Lüppi. „Wir können froh sein, dass Mario uns mit hierhergenommen hat, sonst wären
wir womöglich noch später oder nie hierhergefahren.“ „Und, was sagt ihr? Habe ich euch zu viel versprochen?“, erkundigte sich Mario. „Ganz im Gegenteil“, antwortete Lüppi. „Wir ärgern uns gerade, nicht schon
früher hierher gefahren zu sein.“ „Also eines muss ich ja sagen“, fing Petra an. „Am Tegernsee war es ja schon
sehr schön, aber der Ausblick hier ist ja einfach nur super genial. Das glaubt
man ja nicht, wenn man es nicht mit den eigenen Augen sieht.“ „Na, dann wartet mal ab bis ich euch Florenz, Arezzo und vor allen Dingen Siena
zeige, das sind traumhafte Städte.“ „Wir sind schon gespannt“, sagte Torti. „Ganz ehrlich, ich bin sehr glücklich, dass wir vier zusammen Urlaub machen
und du uns die Heimat deiner Familie zeigst“, sagte Lüppi mit gerührter Stimme. „Ich freu mich, wenn es euch gefällt.“ „Und was machen wir jetzt?“, fragte Torti. „Ich schlage vor, ich zeige euch den Ort hier“, antwortete Mario. Samstag,
17.30 Uhr Die drei waren von
ihrem Hausausräum-Ausflug zurück. Mit mehr Dingen als Gördi mitnehmen wollte.
Leider konnte er sich gegen seine Heike und Töchterchen Nina nicht zur Wehr setzen
und so wurde mehr eingepackt als es ihm lieb war. Er als Kopfmensch hatte sich
schon beim Ausräumen der besagten Dinge gefragt, wo bitte sollten sie das alles
lassen. Seine beiden Damen, wie er sie ab dem Tag bezeichnete, hatten ihm aber
gesagt, das würde sich schon finden. „Wir stellen die Sachen erst einmal in den Keller von Torti
und Lüppi. Die beiden werden nichts dagegen haben“, hatte sie gemeint. Samstag,
19.30 Uhr Nachdem alle vier
noch einmal für einige Zeit auf dem Hotelzimmer gewesen waren, die Reste des
Obstes gegessen und die Abendsonne vom Balkon aus genossen hatten, begaben sie sich
um halb acht ins Restaurant. Dass die drei, die noch nie in Italien gewesen waren, etwas
essen wollten was man mit dem Land in Verbindung bringt, muss jetzt wohl nicht
extra erwähnt werden. Als Nachtisch nahmen sie alle vier noch Tiramisu und einen
Espresso. Als sie für einen Abendspaziergang noch einmal durch die Gassen der
Innenstadt schlenderten fiel ihr Blick auch auf den See. Die verschiedenen Lichter
ringsum am Wasser sahen toll aus und die drei waren auch davon schwer angetan. Oben
in ihren Zimmern wieder angekommen, packten sie schon einmal die Begrüßungs-Sektflaschen
in die Reisetaschen. Zufrieden von den Eindrücken gingen sie um kurz vor elf zu
Bett. 3.
September 1995, Sonntag, 12.00 Uhr Bernardo
und Michele wurden von einem Taxi, welches sie hatten rufen lassen, abgeholt.
Das Taxi verließ in südöstlicher Richtung den Ort Figline Valdarno. Die Fahrt ging
zum nächsten Ort, wo die beiden hinwollten. Dies dauerte nicht lange, nur zwölf
Minuten. Hier würden die sie den Tag bei einem Mann verbringen, den beide von früher
kannten. Er hatte als kleiner Bambini mit seinen Eltern jedes Jahr
den Urlaub auf Sizilien verbracht und dabei die beiden kennengelernt. Als erwachsener
Mann hatte Vincenzo, so sein Name, geheiratet und war zu der Familie seiner Frau
in den Ort San Giovanni Valdarno gezogen. Dort wohnte Vincenzo noch immer. Den
Kontakt mit ihm hatte Bernardo nie abreißen lassen. Jetzt, wo er mal Sizilien
verlassen hatte, wollte er ihn besuchen. In den Jahren nach der Heirat hatte Vincenzo
mit seiner Frau vier Mal Bernardo besucht, nur einmal war Michele gleichzeitig
vor Ort. Die anderen drei Male war er mit seinen Söhnen in Südtirol, Österreich
und lange Jahre in Deutschland gewesen. Beide freuten sich darauf ihn wieder
zusehen. „Was hast du gesagt, wie lange ist sein letzter Besuch bei
dir her?“, fragte Michele während der Taxifahrt. „15 Jahre, im Spätsommer 1980 war er das letzte Mal mit
seiner Frau bei mir. Er hat im Gästehaus gewohnt, wo du jetzt lebst“,
antwortete Bernardo. „Wann hast du das letzte Mal mit ihm telefoniert?“ „Bevor ich ihn wegen heute angerufen habe, mmh… so vor einem
dreiviertel Jahr vielleicht.“ „Lass uns vorher noch Blumen für seine Frau kaufen.“ „Seit wann hast du die Ader denn? Das kenne ich ja gar nicht
von dir.“ „Es gehört sich halt, wenn man nach langer Zeit einen Besuch
macht.“ „Du hast mir aber nie Blumen mitgebracht“, beschwerte Bernardo
sich. „Du bist ja auch keine Frau.“ „Soll das heißen, meiner Frau hättest du Blumen mitgebracht?“ „Wenn du je eine gehabt hättest, ja. Dafür habe ich Maria
immer mal etwas mitgebracht. Zum Beispiel die Pralinen aus Belgien oder die Mozartkugeln
aus Salzburg.“ „Stimmt, ich erinnere mich.“ „Ich verstehe sowieso nicht, warum du Maria nicht geheiratet
hast. Sie hätte dich genommen.“ „Auf die Idee bin ich gar nicht gekommen. Warum hast du
nicht mal was gesagt?“ „Bitte? Du erwartest jetzt nicht ernsthaft, dass ich dir
hätte sagen sollen, du sollst Maria heiraten, oder?“ „Sì“ „Du kannst zwar eine Organisation leiten, aber dass du Maria
hättest heiraten können, dies muss man dir sagen?“ „Scheint wohl so. Mmh…?“ „Bitte halten Sie vorher an einem Blumenladen.“ Sonntag,
14.33 Uhr Alle vier hatten bis
9 Uhr geschlafen und um 10 Uhr gefrühstückt. Auch in dem Hotel hatte es ein Frühstücksbuffet
gegeben. Nach einem letzten Blick auf den Gardasee, der den dreien so gut
gefallen hatte, nahmen sie nach dem Verlassen des Hotels den vierminütigen
Fußweg zum Parkhaus. Um 11 Uhr brachen sie von dort auf, um über Torbole zurück
zur Autobahn 22 zu fahren. Als sie auf der A22 waren brauchten sie eine halbe Stunde
bis sie aus dem langen Tal, durch das die Autobahn führte, heraus waren. Rechts
an Verona und später an Modena vorbei erreichten sie eineinhalb Stunden später
Bologna. Von dort ging es noch einmal eineinhalb Stunden weiter, rechts um
Florenz herum, zum Zielort Figline Valdarno. Über die Via Giovan Battista del
Puglia kamen sie um kurz nach halb drei am „Oh, oh, was kommt jetzt?“, fragte sie. „Mal sehen… hat die Reservierung doch nicht geklappt?“, überlegte
Lüppi. Als Mario und die beiden Männer bei ihnen waren, sagte er. „Questi sono il signor e la signora Lüpke e la mia compagna Petra.“ „Das sind die Söhne von der Freundin meiner Tante“, klärte
Mario auf. „Und was ist los?“, fragte Petra. „Nichts, alles prima.“ „Und?“, fragte Lüppi. „Hier steht von Bolgheri Rosso drauf“, antwortete sie. „Das ist Rotwein“, klärte Mario sie auf. „Hier liegen an allen Plätzen drei Gabeln und zwei Messer.
Und als Nachtischbesteck auch eine Gabel. Wofür braucht man die alle?“ „Das ist für zwei Vorspeisen, den Hauptgang und den
Nachtisch“, wusste Mario. „Na, hoffentlich passen mir hinterher noch meine Sachen, wenn
wir hier die nächsten Tage öfter Essen gehen.“ Über den Eingang des Restaurants verließen die vier die Hotelanlage
und gingen in den Ort. Schnell waren sie auf dem Plazza Marsilio Ficino und sahen
die dortigen Straßencafés. Dort setzten sie sich hin. Nach einer Dreiviertelstunde
bezahlten sie und schauten sich die Geschäfte in den Straßen von Corso Matteotti
und Corso Giuseppe Mazzini an. Einige Modegeschäfte mit italienischem Schick
waren zu bestaunen. „Guarda, Mario“, sagte die Hotelinhaberin und nahm Mario in
den Arm, nach Küsschen links und rechts, fragte sie ihn. (Schau, Mario) „Come stai e quando vai a trovare tua zia?” „Senti Marta, piacere di vederti. Grazie per averci permesso di essere qui
con voi e grazie per le due fantastiche suite. Io, o meglio noi, stiamo bene. Domani andiamo a
trovare Carlotta e Jacopo. “ „Oh... Carlotta non ha gradito che tu non venissi subito da loro.“
(Oh… das hat Carlotta
aber nicht gefallen, dass ihr nicht sofort zu ihnen gekommen seid.) „Penso di sì“, sagte Mario. (Ja, das denke ich mir.) „Danke, das ist lieb von euch“, sagte Lüppi. „Man, ist das komisch,
wenn man nichts versteht.“ „Schau, Martin, ich bin Marta“, sagte sie und nahm Lüppi nach
Küsschen links und rechts in den Arm und drückte ihn fest, als wenn sie sich
schon Jahrzehnte kennen würden. „Hallo, Marta“, erwiderte Lüppi. „Schau, Marianne, schön dich kennenzulernen.“ „Mein Gott, siehst du toll aus und der Südtiroler Bauernzopf
steht dir richtig gut. Jetzt sieht man, warum Mario so viel Gefallen an dir
hat.“ „Danke schön, den Zopf trage ich immer.“ „Wenn du jetzt noch italienisch könntest, würde jeder
glauben, du bist eine von uns hier. Deine schlanke Figur, wie eine Italienerin“,
sagte sie und nahm sie auch in den Arm nach Küsschen links und rechts. „Danke, ich wusste nicht, dass mein Aussehen hier passen würde“,
erwiderte Petra. „Ich habe für euch einen Tisch in unserem Ristorante reserviert.
Seit um 20 Uhr dort, ich weiß ja, das Deutsche gerne früh essen. Das Menu habe
ich für euch zusammengestellt. Es wird euch schmecken.“ „Grazie, Marta”, sagte Mario und auch die
drei sagten das italienische Wort für Danke. „Grazie.“ „Wir sehen uns”, sagte Marta und ging
weiter. „Um 20 Uhr essen ist früh?“, fragte Torti
nach. „Hier schon. Es ist nicht üblich vor 21
Uhr essen zu gehen“, klärte Mario auf. „Wieso spricht Marta so gut Deutsch?“,
wollte Petra wissen. „Sie hat in Südtirol Hotelfachfrau
gelernt und anschließend zehn Jahre dort gearbeitet und hinterher ein kleines
Hotel geleitet. Ihren Mann hat sie dort kennengelernt, der war aus Siena. Später
hat sie hier das Hotel ihrer Eltern übernommen. Ihr Mann ist vor fünf Jahren verstorben.“ Nach einem Aufenthalt in ihren Suiten gingen
sie pünktlich, wie für Deutsche üblich, um kurz vor 20 Uhr runter. Sonntag, 23.20 Uhr
Bernardo
und Michele kamen mit dem Taxi zurück zum Hotel. Nach einem kleinen
Absacker, der noch eine halbe Stunde dauerte, gingen sie um 0.30 Uhr zu Bett.
Sie hatten eine gemeinsame Suite mit zwei Schlafzimmern, die sonst eigentlich für
Familien gedacht war. Von Zimmer zu Zimmer sprachen sie noch eine Weile miteinander,
bis Michele auf die letzte Aussage von Bernardo nicht mehr antwortete. Auch auf
mehrfaches Nachfragen antwortete er nicht. Er stand auf, um nach seinem Freund
zu sehen. Leicht schnarchend schlief er bereits.
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