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Taschenbuch:   ISBN: 9783756538539
eBook(ePub):   ISBN: 9783756538546
Seiten: 464

 

Inhaltsangabe:

Der Kriminalhauptkommissar Martin Lüpke, Spitzname Lüppi, macht mit seiner Familie Urlaub in der Toskana. Dabei will er die Identität einer Frau aus dem letzten Fall klären und begegnet zwei gesuchten Mafia Bossen. Mit Hilfe der örtlichen Polizei versucht er und seine Familie denen das Handwerk zu legen. Bei der Festnahme wird es sehr lebensgefährlich für sie. Währenddessen ermittelt sein Team Zuhause in Essen in einem besonderen Fall. In einem Keller wurde eine leblose Frau gefunden. Ihr Tod gibt viele Rätsel auf und die Frage muss geklärt werden, war es Mord.

 

Leseprobe:

1. September 1995, Freitag, 10.30 Uhr 
Deutschland
Autobahn A3

Die vier Urlauber, es waren Lüppi, Torti, Petra und Mario, befanden sich mit dem dreizehn Jahre alten dunkelblauen Mercedes 230E, des Typs W123, seit den frühen Morgenstunden nun auf der Autobahn 3. Sie waren um 5 Uhr in Essen losgefahren. Lüppi hatte bis zu dem Zeitpunkt alleine am Steuer gesessen. Torti saß neben ihm auf dem Beifahrersitz und das junge Pärchen auf der Rückbank. Lüppi steuerte den nächsten Rastplatz an. Das war Aurach Süd auf der Höhe von Erlangen kurz vor Nürnberg. Die Fahrzeit betrug mit zwei kleinen Staus bis dahin 5 Stunden. Es war der zweite Stopp an diesem Morgen. Alle vier mussten mal zur Toilette und wollten einen Kaffee trinken. Etwas essen in Form von einem Brötchen gefiel Mario und Lüppi auch gut. Das Tagesziel für den Tag war ein Hotel am Tegernsee im Ort Bad Wiessee. Dort wollten sie übernachten und am nächsten Tag bis zum Gardasee weiterfahren. Diese Fahrt würde dann circa 5 Stunden dauern. Sie hatten von Mario viel vom Gardasee gehört, da die Eltern von ihm dort immer einen Zwischenstopp eingelegt hatten, wenn sie in den früheren Jahren in die Heimat, die Toskana, gefahren waren. Daher wollten auch sie dort eine weitere Übernachtung einlegen. Bevor sie am dritten Tag bis zu dem Ort Figline Valdarno fahren wollten. Diese Fahrt würde dann nur noch 4 Stunden dauern. Alle vier freuten sich schon auf das vielbeschriebene Hotel Villa Casagrande. Es sollte das beste am Ort sein, hatte es geheißen.

 

Freitag, 10.35 Uhr
Italien, Toskana
Ort, Figline Valdarno

Bernardo Carbone und Michele Alessandro Mascali saßen zusammen am späten Frühstückstisch. Das Frühstück bestand aus einem Croissant und einem Espresso. Beide sprachen leise miteinander, damit andere nicht etwas mitbekamen. Sie hatten von Giacomo, ihrem geheimen Mitarbeiter, erfahren, die beiden kriminellen Polizeibeamte Axel Fuchs und Oliver Cramer, mit denen sie zusammengearbeitet hatten, waren gefasst worden. Die Tatsache, dass sich in Deutschland nun das Bundeskriminalamt der Sache angenommen hatte, ließ sie nicht beunruhigen, aber sie wunderten sich schon darüber. Darüber sprachen sie.

 

Freitag, 11.15 Uhr  
Polizeipräsidium Essen

Heike, Gördi und Björn saßen zusammen und die beiden schilderten ihm an Hand der zurückliegenden Fälle die Ermittlungsarbeit der KK11. Erst zu dem Zeitpunkt erfuhr er von dem ganzen Ausmaß des ‚Syndikats‘ und der acht Mordfälle. Das Telefon von Gördi schellte, Heike stand auf und ging dran.

Kriminaloberkommissarin Heike Buhrmann, guten Tag.“

„Hallo, Heike“, sagte der Wachhabende Polizist aus der Wache von unten. „Es gibt eine Frauenleiche in Essen Freisenbruch in der Straße Spervogelweg Nr. 10. Die Tote befindet sich in ihrem Keller. Die Streifenkollegen sind vor Ort.“

„Alles klar, wir kommen“, sagte Heike.
Kurze Zeit später brachen die drei auf. Der erste Fall für Björn Klein, genannt
‚der Bär‘.

Nach etwas mehr als zwanzig Minuten waren die drei dort. Der Streifenwagen der Kollegen stand am Straßenrand geparkt. Die Haustür war offen und im linken Kellergang trafen sie auf die Kollegen. Speziell Björn wurde freundlich empfangen.

„Die Dame liegt hier“, sagte einer der beiden und zeigte in den zweiten Kellerraum auf der rechten Seite.

Dieser war gemauert und durch die geschlossene Tür nicht einsehbar gewesen. Gesichert war die Holztür sonst durch ein Vorhangschloss, welches nun offen in der Metallöse an der Wand hing. Ein beißender Geruch war im Kellergang zu riechen. Heike und Björn betraten den Raum. Gördi blieb bei den Kollegen im Gang stehen, wie es nicht anders zu erwarten gewesen war. Alte Holzregale standen links und rechts in dem schmalen Kellerraum. Vor Kopf war ein
vergittertes Kellerfenster. Die tote Frau lag nicht, sondern saß auf dem Boden mit dem Rücken ans rechte Regal gelehnt.
Der Kopf hing herunter mit dem Kinn auf dem Oberkörper. Heike begab sich in die Hocke, um der toten Frau ins Gesicht schauen zu können. Dabei stellte sie fest, sie musste schon länger dort sitzen. Sie drehte sich in der Hocke sitzend zu den Streifenkollegen um und fragte diese.

„Wisst ihr schon wer die Frau ist?“

„Der Mieter von Parterre links, der sie auch gefunden hat meint, es wäre die Tochter der vor vier Wochen verstorbenen älteren Dame aus der ersten über ihm. Die verstorbene Mutter hieß Hannelore Benning“, antwortete einer der beiden.

„Habt ihr die KTU verständigt?“, fragt Björn.

„Aber, na klar doch“, kam die Antwort.

„Hier am Vorhangschloss hängt ein Schlüsselbund“, meinte Gördi. „Wir können uns ja mal in der Wohnung der Mutter umsehen.“

„Heike“, sprach Björn sie an. „Hast du schon die alten Kartons gesehen, die hier in den Regalen liegen?“
Heike kam wieder aus der Hocke hoch und sah sich um.

„Schau mal die alten Holzkisten hier unten, das sind ja sechs Stück“, erwiderte sie und zeigte mit dem Finger auf eine der Kisten.
Die sechs Kisten waren in einem dunkelgrau gestrichen und mehr hoch als breit und tief. Björn schätzte die Höhe der Kisten auf etwa 50 cm. Das Besondere waren die Tragekordeln an beiden Seiten. Diese waren durch seitlich angebrachte Holzstücke gezogen worden und hingen von oben heraus herab. Alle Holzkisten hatten einen losen Holz-deckel, der vorne mit einen Spannverschluss und hinten mit Blechwinkeln gehalten wurde. Hinter der toten Frau war die sechste, sie stand offen im Gang unter dem Kellerfenster.

„Kannst du lesen was auf den Kisten steht?“, fragte Heike ihren jüngeren Kollegen.
Björn bückte sich und wischte mit seiner Hand über den mit Farbe aufgebrachten Text.

„2-cm-Flak“, antwortete Björn.

„Die sehen so aus, als wenn sie aus dem zweiten Weltkrieg wären“, vermutete Heike.

„Das sieht alles hier so aus, als wenn es aus der Zeit wäre. Schau dir nur die Kartons an. Wann hast du schon einmal solche dicken Kartons gesehen“, stellte Björn die Gegenfrage.

„Was meinst du mit dicken Kartons?“, wollte Gördi aus dem Kellergang wissen.

„Die Materialstärke, woraus sie hergestellt wurden. Solche dicken Materialstärken habe ich noch nie gesehen. Die sind für die Ewigkeit gemacht.“

„Björn hat recht“, bestätigte Heike. „Die sehen wirklich sehr stabil aus.“
Es waren Schritte von der Kellertreppe aus zu hören. Einer der Streifenpolizisten ging schauen, wer da kommen würde.

„Gutem Morgen, zusammen“, sagte Horst Vollmer und kam mit seinem jüngeren Kollegen Moris Veigel im Kellergang an.
Alle grüßten zurück.

„Was haben wir denn hier?“, fragte Horst.
Gördi teilte es beiden mit, während sie sich ihre Schutzkleidung überzogen. Als beide damit fertig waren, verließen Heike und Björn den Kellerraum, um Platz zu machen.

„Also eines muss ich jetzt ja sagen“, fing Horst an. „Ich weiß nicht wie lange es her ist zu einer toten Person gerufen worden zu sein und Lüppi ermittelte oder leitete nicht den neuen Fall.“

„Schon sehr lange. Zumindest mehr als fünf Jahre, denn so lange bin ich ja schon in der KK11“, antwortete Gördi.

„Wer leitet denn jetzt die KK11, wo Lüppi in Urlaub ist?“

„Das mache ich“, sagte Gördi. „Ich bin offiziell der Stellvertreter.“

„Gut, dann fangen wir mal an“, sagte Horst und betrat mit Moris den Raum.

„Und wir gehen mal in die Wohnung der Mutter und sehen uns dort um“, sagte Gördi.

„Ist der Mieter von Parterre links in seiner Wohnung?“, fragte Björn die Streifenkollegen.

„Nein, er musste zur Arbeit“, antwortete der Streifenkollege. „Er war hier unten im Keller, weil er sein Fahrrad herausholen wollte. Dabei ist ihm die offenstehende Kellertür aufgefallen. Nachdem er hineingesehen hatte, hat er denn Notruf in seiner Wohnung gewählt.“

„Er hat gesagt, er hätte diese Woche Spätschicht und wäre um 22.30 Uhr wieder Zuhause“, teilte der andere Kollege mit.
Alle drei verließen den Keller in Richtung 1. Stock.

 

Freitag, 11.20 Uhr 
Deutschland
Autobahn A3

Nach einer längeren Pause fuhren die vier Urlauber weiter Richtung München. Petra saß nun am Steuer und Lüppi hatte neben Mario auf der Rückbank Platz genommen. Die nächsten eineinhalb Stunden fuhren sie nun bis zur Münchner Umgehungsautobahn A99. Von dort würden sie noch einmal eine Stunde fahren bis sie am Zielort der ersten Etappe ankamen. Eine Übernachtung in zwei Doppelzimmern hatten sie im Hotel Terrassenhof am Tegernsee gebucht. Die Fahrt bis zur A 99 verlief ruhig, erst dort wurde es auf der Autobahn voll. Im zähfließenden Verkehr dauerte es eine Zeit bis die vier die A8 in Richtung Rosenheim, Chiemsee und Salzburg erreichten. Der A8 folgend, verließen sie bei dem Ort Holzkirchen die Autobahn und folgten der Bundesstraße 318 bis zum Ort Bad Wiessee.

 

Freitag, 11.25 Uhr
Italien, Toskana
Ort, Figline Valdarno

Bernardo Carbone und Michele Alessandro Mascali waren fertig mit ihrem überschaubaren Frühstück und verließen das Hotel in Richtung Innenstadt. Sie gingen an den Straßencafés auf dem Plazza Marsilio Ficino vorbei und sahen sich die Geschäfte in der Straße Corso Matteotti an. Dabei sprachen sie über nicht verdächtige Verstecke zum Transport der neuen Ware. Ziemlich in der Mitte der Straße auf der linken Seite war ein Rolltor halb hochgezogen. Hammerschläge auf Metall waren von dort zu hören. Viel sahen die beiden nicht, nur etwas kleines Rotes. Beide sahen sich fragend an und wollten wissen, was das denn wäre. Da sie beide neugierig waren bückten sie sich, um unter das halb hochgezogene Tor in die Halle sehen zu können.

„Buon giorno“, sagte Michele als er in gebückter Haltung die kleine Werkstatt betrat.
Bernardo kam genauso hinterher. Nun standen sie in der wahrscheinlich kleinsten und schmalsten Werkstatt von ganz Italien, da sie nur so breit war, wie das Rolltor. Die Werkstatt hatte eine Hebebühne, die mit beiden Seiten links und rechts an den Wänden stand. Durch die geringe Raumbreite von 3,10 Meter kam noch hinzu, die beiden Säulen der Hebebühne standen somit näher zusammen als es sonst üblich ist. Die Konsequenz war, es passten nur kleine italienische Autos dort hinein. Der kleine rote Wagen, den die beiden nur ein Stück hatten sehen können, war ein FIAT 600 im Renntrimm, glaubten sie. Die Hebebühne mit dem kleinen Rennauto befand sich nur einen Meter hinter dem Tor. Die schmale Halle ging noch etwa 10 Meter weiter nach hinten hinein. Hinter der Hebebühne stand ein noch kleineres rotes Auto. Auch dies befand sich im Renntrimm mit Überrollkäfig und ausgestellten Kotflügeln, wie sein größerer Bruder auf der Bühne. Am Ende der schmalen Halle werkelte ein älterer Mann an einer alten Werkbank. Mit Hammerschlägen bearbeitete er ein Blech, was auf der Werkbank lag. Das Grüßen hatte der ältere Mann gar nicht gehört und trieb das Blech weiter mit Schlägen in die gewünschte Form. Als er nach einer kurzen Weile den Hammer ruhen ließ, grüßte Michele noch einmal.

„Buon giorno!“, rief er nun lauter als zuvor.
Das hatte der Mann gehört, drehte sich um, sah beide unter dem vermeintlichen FIAT 600 durch am Tor stehend an und fragte was sie wollen.

„Wir wollten uns einmal den Wagen ansehen“, sagte Michele.

„Der ist nicht zu verkaufen“, erwiderte der ältere Mann sofort.

„Wir wollen auch gar nicht kaufen, sondern nur mal schauen.“

Va bene (In Ordnung).”

„Was ist das für ein FIAT?“, fragte Bernardo.

„Das ist kein FIAT, sondern ein Abarth 1000“, klärte der ältere Herr auf.

„Dürfen wir einmal zu Ihnen kommen?“, wollte Michele wissen.

Sì“, antwortete er nur kurz.
Er sah beiden an, dass sie sich fragten, wie das gehen sollte.

„Sì mio dio (Ja, mein Gott), nun bückt euch doch mal.”

„Unter den Wagen durch?“, fragte Bernardo entsetzt und schaute auf seinen hellen Anzug hinab.

„Wenn ihr hierher wollt, dann bleibt euch beiden wohl nichts anderes übrig. Seid aber vorsichtig, der große kleckert ein wenig“, sagte der ältere Herr und beide sahen auf dem Boden die Öllache.

„Wir kommen die Tage noch mal“, sagte Michele und ging in gebückter Haltung unter dem halb hochgezogenen Rolltor wieder zurück auf die Straße Corso Matteotti.

Addio“, sagte Bernardo und folgte seinem Freund.
Beide schlenderten die Straße entlang bis sie an der Plazza Serristori ankamen.
 
Zurück blieb ein verständnisloser älterer Herr.


Freitag, 12.45 Uhr 
Essen Freisenbruch

Die drei waren dabei sich in der Wohnung von der verstorben Hannelore Benning umzusehen. Heike war in der Küche, Gördi im Wohnzimmer und Björn im Schlafzimmer zu Gange. Heike rief laut durch die Wohnung.

„Ich habe die Handtasche der Tochter entdeckt. War im Schrank versteckt.“

„Toll!“, rief Gördi zurück.

„Klasse!“, rief auch Björn.

„In ihr befindet sich das Portemonnaie“, fügte Heike an.

„Das ist ja super“, ließ Gördi von sich hören.

„Dann schau doch mal hinein“, gab Björn den Hinweis.

„Was meinst du, was ich gerade mache?“, stellte Heike die rhetorische Gegenfrage.

„Auf eine Anweisung von mir warten“, antwortete ihr Gerhard keck.

„Ja, nee, ist klar. Danke auch!“, erwiderte Heike.

„Und?“, fragten Gördi und Björn gleichzeitig aus zwei verschiedenen Zimmern.

„Mit Personalausweis und Führerschein.“

„Und wer ist die Tote?“, fragte Gördi.

„Die Tochter heißt Evelyn Peterschal“, rief Heike durch die Wohnung. „Sie ist von 1943, also 52 Jahre alt.“

„Das ist doch schon einmal ein Anfang“, meinte Björn. „Ich habe auch etwas.“
Dann kam aber nichts mehr und Gördi sagte.
„Wie würde Lüppi jetzt sagen…“
Und Heike ergänzte aus der Küche. „Jetzt spann mich nicht auf die Folter…“

„Genau, das mag er nämlich gar nicht“, fügte Gördi noch an.

„Du bist aber nicht der Lüppi!“, antwortete Björn.

„Gut, dass du mir das sagst und ich habe schon den ganzen Vormittag meine Baseballkappe der New York Yankee gesucht. Dann muss ich mich ja gar nicht wundern, dass ich keine habe, wenn ich nicht der Lüppi bin“, sagte Gördi und ging zu ihm ins Schlafzimmer, wo bereits seine Heike schon stand.

„Seht mal hier“, sagte Björn.
Beide sahen sich das Blatt Papier an, was sich in einem aufgeschlagenen Ordner befand. Dieser lag auf dem Schmink- Tischchen neben dem Fenster.

„Hier ist ein Dokument, wo ein Walther Halmer sich als Vater des Mädchen Evelyn Benning angibt.“

„Das Schreiben ist von 1966“, stellte Heike fest.

„Genau und die Evelyn wurde in dem Jahr 23 Jahre alt“, sagte Björn.

„Geht denn daraus hervor was mit dem Herrn Benning passiert ist?“, fragte Gördi.

„Da habe ich eine Bestätigung gefunden, der Hubert Benning ist am 5. Juni 1943 in Russland gefallen“, sagte Björn. „Die Tochter hat Kriegs-Waisenrente bezogen.“

„Nimm den Ordner mit“, sagte Gördi. „Hast du sonst noch etwas entdeckt?“

„Nichts Interessantes, bis jetzt. Ich schau weiter, ich war noch nicht überall“, erwiderte Björn.

„Dann schau dich noch weiter um und wir zwei gehen mal zu Horst und Moris“, sagte Heike.
Beide verließen danach die Wohnung der Mutter.

 

Freitag, 13.00 Uhr
Italien, Toskana
Ort, Figline Valdarno

Bernardo und Michele waren weiter durch den Ort spazieren gegangen. Sie unterhielten sich darüber wie sie die Ware ihres eventuell neuen Geschäftspartners ins Ausland bekommen könnten. Es müsste etwas sein, was zuvor noch niemand anderes getan hatte. Während beide so darüber nachdachten und dabei weiterliefen waren sie ohne ein Ziel zu haben einfach drauflos gegangen und am Ortsende angekommen. Auch hier war eine Autowerkstatt wie im Ort selber. Diese war aber viel größer. Beide näherten sich der Halle und sahen wie zwei Männer mit einer Flex ein Auto, ein Cabrio um genau zu sein, in zwei Teile schnitten. Vorne war der Wagen durch einen Frontal-Unfall zerstört worden. Als beide dort ankamen brach der Wagen in zwei Teile. Das Heck des Wagens fiel auf die hintere Stoßstange und der vordere Teil auf die zerstörte Front. Bernardo stupste Michele an.

„Was willst du mir zeigen?“, fragte dieser zurück.

„Siehst du den Hohlraum, der dort zu sehen ist?“

„Ja, sehe ich, und?“, fragte Michele.

„Das wäre doch eine schöne Stelle zum Schmuggeln.“

„Zum Schmuggeln? Du meinst die seitlichen Schweller eines Autos könnte man zum Schmuggeln verwenden?“

„Ja, schau nur, wieviel Platz dort in den Schwellern ist“, meinte Bernardo.

„Und wie willst du darankommen? Möchtest du alle Autos aufschneiden und hinterher wieder zusammenschweißen?“

„Vielleicht kann man ja auch von innen oder von unten ein unauffälliges Loch hineinschneiden und die Päckchen an einer Schnur in das Loch und somit in die Schweller schieben. Am Zielort braucht man dann nur noch an der Schnur ziehen“, sagte Bernardo und sah seinen alten Freund an.

„Klingt jetzt gar nicht so dumm. Sollten wir auf alle Fälle im Hinterkopf behalten“, meinte Michele.

„Komm las uns mal hingehen und einen Plausch halten. Vielleicht erfahren wir ja was Näheres dazu.“

„Das wollte ich vorhin in der kleinen Werkstatt ja auch.“

„Ich weiß, aber das war mir dort zu dreckig für meinen Geschmack.“
Sie gingen die letzten Meter langsamen Schrittes weiter auf das zerteilte Auto zu.

„Buona giornata“, sagte Bernardo freundlich. „Dürfen wir einmal stören? Wir haben so etwas noch nie gesehen. Passiert das öfter, dass ein Auto zerteilt wird?“
Die Mechaniker sahen die beiden überrascht an.

„Hin und wieder, warum fragen Sie?“, fragte der ältere der beiden, der auch der Chef war.

„Nur aus reiner Neugierde. Was passiert jetzt mit den beiden Autoteilen?“, fragte Michele.

„Das Hinterteil hier kommt an ein Vorderteil von einem anderen Spider, der hinten kaputt ist. Zusammen werden die zwei Teile wieder ein tolles neues Auto.“

„Sieht man das hinterher nicht?“

„Nein, natürlich nicht. Der Wagen wird frisch lackiert und danach sieht keiner mehr, dass es sich mal um zwei verschiedene Fahrzeugteile gehandelt hat. Wenn das richtig verschweißt ist, ist das so, als wenn es ab Werk ist.“

„Ist das denn nicht viel Arbeit?“

„Es kommt auf die beiden Fahrzeuge an. In dem Fall lohnt sich der Aufwand.“

„Weil es ein Cabrio ist?“, fragte Bernardo.

„Ja und weil es ein Spider ist.“

„Ein Spider? Ich dachte an Hand des Emblems, es wäre ein Alfa Romeo?“

„Ist ja auch ein Alfa Romeo, das Modell heißt Spider“, antwortete wieder der ältere und ergänzte noch. „Sie scheinen sich aber mit Autos gar nicht auszukennen.“

„Das stimmt, von Autos habe ich keine Ahnung“, gestand Bernardo. „Einen Führerschein habe ich auch nicht.“

„Was ist denn so ein Spider wert, wenn er fertig ist?“, erkundigte sich Michele.

„Na, so ungefähr 50.000.000 Lire (25.800 EUR)“, antwortete der Ältere.

„Und wird der Wagen anschließend dann ganz normal verkauft?“

„Nicht ganz, dieser Spider geht ins Ausland.“

„Ah, ja, die Nordeuropäer stehen auf Alfa Romeo“, wusste Michele zu berichten.

„Ja, die sind ganz heiß auf Fahrzeuge von Alfa“, antwortete der jüngere Mechaniker.

„Bezahlen die dann auch besser?“, fragte Bernardo.

„Ja, auf jeden Fall. Hier würden wir nur die Hälfte für den Wagen bekommen“, sagte der ältere.

„Sehr interessant.“

 

Freitag, 13.15 Uhr 
Essen Freisenbruch

Als die beiden im Kellergang ankamen, waren Horst und Moris mit der Spurensicherung fertig. Horst winkte die beiden zu sich in den Kellerraum. Heike ging vor, Gördi blieb etwas zurück.

„Ja? Hast du schon eine Idee, warum Evelyn Peterschal gestorben ist?“, fragte Heike.

„Nein, noch nicht und werde ich auch nicht haben, aber seht mal selbst, ob euch auch etwas auffällt?“, erkundigte er sich, wobei er mit einer Lampe der Verstorbenen ins Gesicht und auf die Arme leuchtete.

„Sie sieht sehr blass aus“, machte Heike die Feststellung.

„Ganz genau und was uns noch aufgefallen ist, sie scheint eine Zigarette geraucht zu haben“, sagte er und sah Heike erwartungsvoll an.

„Ist das jetzt etwas Besonderes?“, fragte Gördi aus zwei Metern Entfernung.

„Die Tatsache, dass sie geraucht hat noch nicht, wie wir annehmen, aber wir gehen davon aus, es waren diese dort“, antwortete Horst und zeigte auf mehrere Schachteln Zigaretten, die sich in der offenen Flak-Kiste befanden.

„Schachteln mit einer jungen Frau vorne drauf? Was ist das für eine Marke?“, fragte Heike.

„Das ist die Marke ‚Fräuleinund bitte frag mich nicht, was die ‚88‘ auf der Packung heißen soll.“

„Gib mal bitte eine“, bat Heike.

„Nein, das werde ich nicht tun. Ich habe ein ungutes Gefühl bei den Zigaretten“, gab Horst an.

„Das Zigaretten tödlich sein können, das wissen wir…
natürlich“, sagte Heike.

„Jetzt bitte im Ernst. Die verstorbene hat anscheinend die alte Militärkiste geöffnet und hat offensichtlich die Zigarettenschachteln gesehen und wollte sie einmal probieren. Was sie auch getan hat. Auffällig ist unseres Erachtens nach, sie muss gestorben sein als sie sich diese Zigarette dort, die jetzt auf dem Boden liegt, angezündet hat. Wäre es eine Zigarette von heute, würde ich jetzt nichts sagen, aber es ist eine über fünfzig Jahre alte und dann auch noch aus Kriegszeiten.“

„Ist das jetzt dein Ernst, Horst. Machst du dir darüber Gedanken, dass diese Frau am Rauchen gestorben ist?“

„Ich möchte auf jeden Fall vorsichtig sein.“

„Wir haben Frau Doktor hierhergebeten“, fügte Moris an.

„Unsere Rechtsmedizinerin Dr. Schneider kommt zum Tatort?“, fragte Gördi ungläubig.

„Wir halten es für sinnvoll“, gab Horst zu.

„Okay“, sagte Heike erstaunt.

An dieser Stelle ist festzuhalten, die Tatsache, dass die Rechtsmedizin an einem Tatort erscheint, ist alles andere als normal. Genau das Gegenteil ist der Fall. Es kommt nur sehr, sehr selten vor, dass die Rechtsmedizin dort zu sehen ist. In vielen Filmen erscheint die Rechtsmedizin immer an einem Tatort, das ist erlernter Standard, nur genau das ist in Wirklichkeit nicht der Fall. Die Mitarbeiter/-innen von der KTU erledigen die Spurensicherung, übernehmen eine erste grobe oberflächige Leichenschau und lassen den Leichnam von einem Bestattungsunternehmer abholen und zur Rechtsmedizin bringen. Wenn es dann und wann mal vorkommt, dass, wie in dem Fall, die Rechtsmedizinerin zum Tatort gerufen wird, ist das schon eine Ausnahme. Daher die Verwunderung der beiden, dass der Leiter der Kriminaltechnische Untersuchungsstelle es für sinnvoll hielt, die Rechtsmedizin kommen zu lassen.

„Wenn ihr zwei es wirklich für notwendig haltet, dass unsere Stefanie hierherkommt, dann sollten wir zwei uns jetzt mal von hier entfernen, sonst hat Nina womöglich keine Eltern mehr“, traf Gördi die Aussage.
Heike drehte sich zu ihm um und sagte.

„Mein lieber Gerhard“, fing sie an und sagte weiter. „Jetzt dramatisiere es doch nicht direkt. Die Frau ist tot und sitzt auf dem Boden. Okay. Sie hat sich möglicherweise eine Zigarette angesteckt. Auch okay. Diese mag ja auch fünfzig Jahre alt sein und aus dem Krieg stammen. Von mir aus. Aber jetzt entschuldigt mal bitte ihr drei, was soll denn da jetzt so tödlich gewesen sein. Ich habe noch nie gehört, dass alter Tabak mit der Zeit irgendeine Substanz erzeugt, wovon man dann tot umfällt. Eure Vorsicht in allen Ehren, aber jetzt übertreibt ihr es.“

„Ich habe dabei wirklich ein ungutes Gefühl“, sagte Horst.

„Jetzt lasst die Kirche bitte im Dorf“, sagte Heike und kam sich langsam verarscht vor.

„Wie auch immer, ihr zwei verlasst jetzt bitte meinen Tatort“, griff Horst nun durch. „Wenn Stefanie hier war, der Leichnam abtransportiert ist gebe ich ihn wieder frei, jetzt aber noch nicht. Schluss jetzt.“

„Heike, lass uns noch mal in die Wohnung zu Björn gehen“, sagte ihr Gerhard.
Als beide den Keller verließen, sahen sie Frau Doktor kommen. Sie hatte einen Studenten dabei. Nach einem kurzen Gruß gingen sie wieder in die Wohnung zurück, wo Björn noch etwas gefunden hatte. Da er nicht im Schlafzimmer war, suchten sie ihn. Er saß auf der Couch im Wohnzimmer und studierte seinen Fund.

„Was hast du da?“, fragte Gördi.

„Einen Stapel Briefe, die ich im Kleiderschrank in der hintersten Ecke gefunden habe. Darauf lag eine Wolldecke“, antwortete er.

„Und was sind das für Briefe?“, fragte Heike nach.

„Bis jetzt sind es alles Briefe von ihrem Mann Hubert und einige von Walther Halmer. Die von ihrem Mann sind alle sogenannte ‚Feldpost‘ von der Front. Der letzte Brief an Hannelore ist vom 30. Dezember 1944. Den Brief hat sie erst einen Monat später bekommen. Da war Hubert bereit tot. Das, was er hier schreibt, ist echt fürchterlich. Ich habe einen Kloss im Hals, wenn ich das hier lese. Absolut grauenhaft kann ich euch sagen“, berichtete er und beide sahen ihm an, er war wirklich betroffen von dem Inhalt.

„Und was schreibt der Walter so?“

„Ich habe sie nur überflogen. Kann ich noch nicht sagen. Ich bin zuerst hingegangen und habe die Briefe nach Datum sortiert.“

„Zeig mal bitte“, bat sie und ließ sich die von Walter Halmer an Hannelore Benning geben.
Nach dem ersten Blick auf den ersten Brief, sagte sie.

„Der Brief ist vom 10. Mai 1943.“

„Das ist der erste von zehn Briefen. Sie waren alle durcheinander in einer Plastiktüte“, sagte Björn.
Gördi setzte sich dazu und ließ sich den ersten Brief von der Front von Hubert geben. Er war von August 1940. Aus diesem ging hervor, er hatte ihn einen Tag vor der Abreise an die Front geschrieben. Nun saßen alle drei auf der Couch und lasen Briefe, die über fünfzig Jahre alt waren.
Nach über einer halben Stunde klopfte es an der Wohnungstür, es war Moris. Gördi ging zur Tür und erfuhr von ihm.

„Wir sind fertig und würden den Keller jetzt versiegeln. Wollt noch einmal hinein?“

„Ist die Verstorbene schon abgeholt worden?“, erkundigte sich Gördi.

„Ja, vor fünf Minuten. Frau Dr. Schneider ist auch gerade weg.“

„Und was hat sie gesagt?“

„Das Horst mit seinem Verdacht vielleicht recht hätte. Sie konnte aber noch nicht sagen, was es genau ist. Sie glaubt an eine Art Vergiftung. Sie sagte. ‚Wie immer, mehr nach der Obduktion‘.“

„War zu erwarten.“

„Und, möchtet ihr noch einmal in den Keller oder können wir ihn versiegeln?“

„Versiegelt ihn bitte. Danke schön“, sagte Gördi.

„Nichts zu danken.“
Dann ging Moris wieder. Gördi schloss die Tür und als er wieder im Wohnzimmer ankam sagte er.

„Stefanie glaubt, die Tote könnte vergiftet worden sein.“
Heike sah ihn überrascht an.

„Lasst uns zu den Ordnern zusätzlich noch die Briefe mitnehmen“, sagte Björn.

„Machen wir.“
Nach dem Verlassen versiegelte Heike die Wohnungstür.

 

Freitag, 14.15 Uhr 
Bad Wiessee am Tegernsee
Hotel Terrassenhof

Alle vier waren angekommen und hatten ihre zwei Zimmerschlüssel bekommen. Für die zwei Zwischendurch-Übernachtungen hatten sie extra zwei Reisetaschen gepackt, damit nicht der halbe Kofferraum ausgeräumt werden musste. Nun standen die beiden, Torti und Lüppi, auf dem Balkon mit direktem Blick auf den Tegernsee. Zwischen ihnen und dem See lag nur der Fußweg Seepromenade. Ein längerer Steg ging einige Meter weit ins Wasser. Wie sie später sahen legten dort Schiffe an, die nach Rottach, zum südlichen Ende des Sees und nach Gmund am Tegernsee, am nördlichen Ende, fuhren. Auch konnte man anscheinend zu dem schräg gegenüber liegendem Ort mit dem Schiff fahren, mit dem gleichen Namen wie der des Sees. Den Blick nach links auf den See richtend war ein Bootshaus im Wasser zu sehen. Einige Boote lagen an kleinen Stegen im See drum herum. Gegenüber waren kleinere Berge zu sehen und als ihre Blicke zum südlichen Ende gingen, waren für beide auch höhere Berge sichtbar, die eine leicht weiße Krone trugen.
Er nahm sie in den Arm und sie legte ihren Kopf auf seine Schulter.

„Ich liebe dich, mein Schatz“, sagte er zu ihr.

„Ich liebe dich auch, mein Liebling“, erwiderte sie.
Beide sahen dabei vom 2. Stock auf den See. Unter ihnen befand sich die Terrasse vom Hotel. Unter Sonnenschirmen und Bäumen waren die meisten Tische belegt und zwei Kellnerinnen bedienten die Gäste. Auf einen der Tische stellte eine von ihnen zwei Teller mit dem
Lieblingskuchen von Lüppi ab.

„Schau mal, das ist gedeckter Apfelkuchen mit Sahne“, machte er darauf aufmerksam.

„Den möchtest du bestimmt nachher auch haben?“, fragte sie ihn.

„Au, ja, sehr gerne, mit einer richtig leckeren Tasse Kaffee.“
Neben ihnen ging die Balkontür vom Nachbarzimmer auf und Petra und Mario traten heraus. Auch ihre Blicke fielen auf den See und das tolle Panorama. Beide standen nebeneinander und er nahm sie auch in den Arm. Torti und Lüppi schauten zu den beiden ohne von ihnen bemerkt zu werden. Wie bei ihnen selbst sahen sie, wie die zwei den Ausblick genossen und einfach nur glücklich waren. Das schönste was sie mitbekamen war, wie er sie auf den Kopf küsste und ihr sagte.

„Ich habe dich sehr lieb.“
Sie sah ihn an und küsste seinen Mund und erwiderte es.

„Ich liebe dich auch sehr, mein Mario.“
Beide schauten sich danach weiter den See an. Als sich ihrer beider Blicke in Richtung Gmund richteten, sahen sie erst Lüppi und Torti dastehen.

„Och, steht ihr zwei schon länger dort?“, fragte Petra.

„Ja, schon seit einiger Zeit vor euch“, antwortete Torti.

„Wir haben euch gar nicht bemerkt.“

„Das haben wir gesehen“, bestätigte Torti und fragte. „Ist der Ausblick nicht wundervoll?“
Eine Unterhaltung über den See und die anderen drei Orte führten die vier bis Lüppi fragte.

„Wie sieht es bei euch aus, kommt ihr mit eine Runde durch den Ort drehen?“
Petra sah ihren Mario an, er nickte und sie sagte ja.
Zehn Minuten später verließen die vier ihre zwei Zimmer und gingen nach unten. Dabei kamen sie an der Stube vorbei. Lüppi warf einen Blick hinein. Ein ganz in dunklem Holz gehaltener großer Essraum war zu sehen. Auf dem Boden lagen alte Holzdielen. Alle Tische hatten Tischdecken und waren mit Besteck, Gläsern und Stoffservietten gedeckt. Der Anblick sah einfach Klasse aus und ließ Lüppi auf die Idee kommen an der Rezeption einen Tisch für
19 Uhr zu reservieren. Beim Verlassen des Hotels fiel sein Blick auf seinen Mercedes, wobei er mit seiner Hand mit einem leichten streicheln dem Wagen über den Kotflügel fuhr. Das er sich auch später an diese Streicheleinheiten bei seinem Auto noch lange erinnern würde, ahnte er noch nicht. Petra machte den Vorschlag doch einmal an der
Seepromenade entlang zu gehen. Was sie auch taten. Immer am Wasser entlang führte der Weg an eine Stelle, wo sie eine Seehüttn‘ sahen und sich dort für eine Viertelstunde hinsetzten. Als sie wieder weitergingen kamen sie an eine weitere Schiffsanlegestelle und Torti sagte, wenn sie mehr Zeit hätten wäre sie gerne mit der ‚weißen Flotte‘ gefahren. Ein Minigolfplatz befand sich in untermittelbarer Nähe. An dieser Stelle verließen die vier die Promenade und gingen in den Ort, dabei hielten sie sich zunächst an die Bundesstraße 318, vorüber an Geschäften. Nach etlichen Metern, der Straße entlang, sahen sie die Friedenskirche, dort änderten sie die Richtung und nahmen eher kleine Straßen zurück Richtung Hotel. Am Hotel vorbei schlendernd gingen sie noch eine weitere kleine Straße, die zum Ende des Ortes führte. Der Rückweg über die Promenade führte sie zurück zum Hotel und auf die Terrasse. Einen freien schönen Tisch, wie Torti meinte, dem See am nächsten, fanden die vier und alle bestellten Lüppi´s Lieblingskuchen, den gedeckten Apfelkuchen mit süßer Sahne und vier Tassen Kaffee. So am See sitzend, mit Kaffee und Kuchen, mochte der Tag am liebsten nicht vergehen wollen.

 

Freitag, 15.35 Uhr 
Polizeipräsidium Essen

Heike, Gördi und Björn saßen an ihren Schreibtischen und schauten sich die Aktenordner an während Björn die Briefe las und eine Art zeitliche Aufstellung erstellte. Darauf hatte Gördi ihn gebracht, da Lüppi in solchen Fällen immer so etwas machte. Die Bürotür stand auf und Eckerhard kam herein um zu erfahren, was das für ein neuer Fall sei. Gördi klärte ihn auf und unterließ es auch nicht, ihn auf die Vermutung von Horst Vollmer aufmerksam zu machen. Heike reagierte darauf gar nicht mehr, sondern verdrehte nur ihre Augen, sagen tat sie nichts zu dem ‚Mumpitz‘, wie sie es bezeichnete. Gördi ließ sich davon nicht beirren und vertraute auf Horst Vorahnung.

„Dann sind wir mal gespannt was die KTU und Rechtsmedizin nächste Woche so herausfinden“, meinte Eckerhard.
Als nächstes wollte er wissen womit sich Björn beschäftigte. Nachdem er es ihm mitgeteilt hatte sagte auch Eckerhard ihm: „Unser Lüppi macht das schon seit langer Zeit so. Er hat auch einen Namen dafür. Er nennt es ‚den Zeitstrahl‘.“

„Davon habe ich schon gehört. Zuletzt hat er den doch im Fall Erik Metzer erstellt“, wusste Björn.

„Ja, genau richtig. Das war der letzte Fall, wo er seinen bekannten ‚Zeitstrahl‘ erstellt hat. Das ist also auf keinen Fall verkehrt, wenn Sie jetzt einen erstellen. Lüppi wird sich freuen, wenn er wiederkommt und sieht, sie sind seinem Beispiel gefolgt.“

„Das freut mich“, sagte Björn und Eckerhard ging wieder.
Björn nahm sich ein Blatt Papier und fing als erstes an, alle Datumsangaben mit Stichworten untereinander zu notieren, die er bis zu dem Zeitpunkt gefunden hatte. Als er dabei war, war es 16 Uhr geworden und Heike und Gördi machten für den Tag Feierabend. Björn blieb noch und las weiter in den Briefen und ergänzte seine Datumsliste.

 


Freitag, 16.00 Uhr
Italien, Toskana
Ort, Figline Valdarno

Die beiden alten Freunde, Bernardo und Michele, waren inzwischen von ihrem langen ausgiebigen Spaziergang zurück. Sie hatten sich einen Schattenplatz im Laubengang gesucht, der an dem Garten der Villa Casagrande entlangführte. Dort würden beide nun sitzenbleiben bis sie zu Bett gingen. Um 21 Uhr nahmen sie ein Pasta Gericht mit einem bunten Salat, dazu einen Rotwein aus der Gegend, zu sich. Den restlichen Abend bis um 23 Uhr verbrachten sie am Tisch sitzend. Als sie aufstanden, gingen sie noch einmal eine kleine Runde um Villa Casagrande herum, um sich danach in ihre beiden Zimmer zurückziehen. Bernardo las ein Buch im Bett und Michele machte sich am kleinen Schreibtisch auf seinem Zimmer Notizen, dabei überlegte er, ob ihm noch andere Möglichkeiten einfallen würden.

 

Freitag, 17.15 Uhr 
Bad Wiessee am Tegernsee
Hotel Terrassenhof

Lüppi ließ die Rechnung auf seine Zimmernummer schreiben und alle vier gingen auf ihre Zimmer. Dort blieben sie und entspannten sich, bis es um zehn vor sieben an der Zimmertür von Torti und Lüppi klopfte. Es waren die beiden, die sie abholen wollten. Im ‚Stüberl‘ hatten sie einen Tisch in einer der Ecken bekommen. Zu essen hatten sich alle etwas Typisches aus der Region ausgesucht, etwas was sie im Ruhrgebiet nicht im Restaurant bekamen. Die vier blieben bis kurz vor zehn am Tisch sitzen, danach begaben sie sich auf ihre Zimmer, um zu schlafen. Alle vier waren müde, da sie ja schon um 4 Uhr aufgestanden waren.

 

Freitag, 19.15 Uhr 
Essen Frohnhausen

Heike war dabei zu kochen, während Gördi sich die Hausaufgaben von Nina ansah. Nina war etwas verblüfft darüber, was sie auch sagte.

„Papa, kannst du mir mal verraten was das wird?“

„Was meinst du?“, fragte er zurück und wusste natürlich was sie meinte.

„Warum schaust du dir meine Aufgaben an? Das hast du ja noch nie getan?“

„Weil ich für dich verantwortlich bin und möchte, dass du auf dem Gymnasium gut zurechtkommst.“

„Aber in der Grundschule hast du dich auch nicht für meine Aufgaben interessiert“, machte sie die Feststellung.

„Da hast du recht, das hat deine Mutter statt meiner getan. Sie ist jetzt nicht mehr da und daher sehe ich sie mir jetzt an.“

„Ach, Papa, bist du aber naiv!“

„Was meinst du mit, ich bin naiv? Hat deine Mutter nicht nach deinen Hausaufgaben gesehen?“

„Nö, hat sie nicht.“

„Du meinst nicht regelmäßig, sonst schon?“

„Nein, ich meine nie“, antwortete sie, machte ein Pause und ergänzte noch. „Und ich meine nie, überhaupt nie! Nicht einmal in den vier Jahren.“
Heike hatte in der Küche von der Unterhaltung gehört und kam ins Wohnzimmer dazu.

„Ist das wirklich so gewesen, Nina? Hat deine Mutter sich nie dafür interessiert, was du für Hausaufgaben aufhattest?“

„Nein, nie. Sie meinte immer, da müsse ich selbst durch, ihr hätte früher auch niemand geholfen.“

„Ich glaube, mich trifft der Schlag“, sagte Gördi.

„Man Papa, du hast ja gar keine Ahnung“, machte Nina eine weitere Feststellung.

„Das scheint mir jetzt auch so. Ich habe mich auf deine Mutter verlassen, sie war ja immer Zuhause.“

„Sich auf meine alte Mutter zu verlassen heißt, verlassen zu sein“, erwiderte Nina, sah ihren Vater an und fragte.
„Und was meinst du zu meinen Aufgaben?“

„Du hast eine sehr schöne Handschrift.“

 

2. September 1995, Samstag, 10.00 Uhr 
Essen Frohnhausen

Die drei, in Form von Heike, Nina und Gördi saßen am Frühstückstisch. Das Thema kam noch einmal auf die Hausaufgaben und das Interesse von ihrem Vater.

„Papa“, sprach Nina ihn an. „Du willst also ab jetzt dir nicht jeden Tag meine Aufgaben ansehen?“

„Mmh… nein, nicht jeden Tag.“

„Habe ich es mir doch gedacht, auch dir ist es zu viel.“

„Das siehst du falsch. Du hast mich gefragt, ob ich jeden Tag und so weiter und ich habe geantwortet, nein nicht jeden Tag. Samstags und sonntags nämlich schon mal nicht.“

„Und in den Feiern auch nicht… nee, ist gut“, antwortete Nina und zog einen Schmollmund.

„Sollen wir heute noch ein paar Sachen aus dem Haus holen?“, erkundigte sich Heike.

„Wir sollten alles holen oder wegschmeißen“, war Ninas Meinung.

„Wie meinst du das?“, fragte ihr Vater.

„Und das blöde Haus verkaufen. Das ist doch viel zu teuer, wenn da keiner drin wohnt“, sagte Nina weiter.

„Echt jetzt? Damit habe ich nicht gerechnet“, gestand Gördi.

„Was habe ich dir gesagt?“, fragte Heike in Richtung ihrem Gerhard.

„Ich sage euch beiden auch warum ich möchte, dass wir das blöde Haus verkaufen…“

„Und warum?“

„Damit du, Papa, mir nicht noch einmal auf die Schnapsidee kommst, wir könnten dort einziehen. Ich ziehe nämlich hier nicht mehr weg. Ich bleibe ab jetzt immer bei Torti und Lüppi wohnen.“

„Das habe ich inzwischen verstanden“, sagte ihr Vater.

„Das klingt doch schon gut“, fand die 10jährige.

 

Samstag, 12.15 Uhr 
Italien
Autobahn A22

Die vier Urlauber waren um 7.30 aufgestanden, um auf Bitten von Lüppi um 8.30 Uhr zu frühstücken. Es gab eine Riesenauswahl am Frühstücksbuffet, wie Torti fand. Um kurz vor zehn hatte Lüppi die Rechnungen bezahlt und sie waren aufgebrochen. Das Reiseziel für den Tag war der Gardasee. Im Ort Riva del Garda hatten sie im
Hotel Sole Relax & Panorama zwei Zimmer für die nächste Nacht gebucht.
Nach dem Verlassen des Hotels war Lüppi nach Karte in Richtung Rottach gefahren, um dann der Bundesstraße 307 weiter zu folgen. Bei Pettenbach hatten sie Deutschland verlassen, ohne es groß bemerkt zu haben. Die Bundesstraße hieß ab da nun 181 und führte zum ersten Ort auf österreichischem Boden. Als sie den Ort Achenwald durchfuhren sagte Petra.

„Das ist jetzt das erste Mal, dass ich Deutschland verlassen habe.“
Während sich die vier darüber unterhielten passierten sie weitere Ortschaften wie Achental und Achenkirch. Es folgte der Achensee, den sie einmal entlangfuhren. Als sie den See hinter sich gelassen hatten wechselten sie bei dem Ort Wiesing auf die Autobahn von Kufstein nach Innsbruck. Als sie das Autobahnschild für Innsbruck sahen, meinte Torti.

„Hier in Innsbruck gibt es das Goldene Dachl. Das sehen wir uns auf der Rückfahrt an.“

„Was genau ist das?“, fragte Petra.

„Das Goldene Dachl ist in der Innsbrucker Altstadt und ein spätgotischer Prunkerker“, wusste Torti zu berichten.

„Wau, Mama, was du alles weißt.“

„Ja und dabei war ich nur einmal mit deinem Vater in Österreich, nämlich in Salzburg. Vorher war ich auch nur ein paar Mal in Venlo und zweimal am Strand in Holland.“

„Ich war noch nie in Holland“, sagte Petra.
Mario sah sie erstaunt an.

„Ja, wirklich. Oma und Opa hatten kein Auto und der Weg mit dem Zug war ihnen zu weit. Ich habe in meinem ganzen Leben nur drei Mal Urlaub gemacht. Das erste Mal war ich mit meiner Mutter und Oma und Opa im Sauerland, in Schmallenberg, da war ich 6 Jahre alt. Erinnern kann ich mich daran nicht. Mit 10 Jahren waren wir im Westerwald und einmal in Lembruch am Dümmer See. Ich war richtig stolz als ich nach den großen Ferien in der 8. Klasse wieder in die Schule kam und von meinem Urlaub erzählte. Mein Gott haben die anderen mich angesehen. Man war das peinlich für mich damals. Heute sehe ich das anders, aber mit 14 Jahren… “

„Wo waren denn deine Mitschüler so?“, fragte Lüppi.

„Zum Beispiel auf Malle, auf Ibiza, am Timmendorfer Strand, auf Borkum und Gerd, der Überflieger in unserer Klasse, er war mit seinen Eltern in San Francisco. Könnt ihr euch vorstellen, wie das für mich war, als ich mit dem Dümmer See ankam. Keiner von denen wusste überhaupt wo sich der See befand.“

„Wie seid ihr dort hingekommen?“, wollte Torti wissen.

„Uns hat der Hotelbesitzer abgeholt und nach zwei Wochen wieder zurückgebracht. Oma und Opa hatten dafür sparen müssen, damit wir uns das leisten konnten. Sie haben vier Jahre lang den Pfenning umdrehen müssen.“
Lüppi sah über den Innenspiegel zu ihr und es tat ihm für sie mehr als nur leid. Auch wenn er nichts dafür konnte, hatte er trotzdem einen Kloß im Hals.

Um Punkt 12 Uhr überquerten die vier die österreichisch- italienische Grenze.

„Das ist jetzt der Brenner“, hatte Mario gesagt und Lüppi hatte gemeint, er habe ihn sich anders vorgestellt.
Um 12.15 Uhr waren sie auf der linken Spur mit 130 km/h in Richtung Bozen unterwegs.
Auf der Autobahn 22 blieben sie bis Garda Nord, um dann über die Galleria Tierno nach Torbole zu kommen. Von da brauchten sie nur noch 10 Minuten bis sie am nahegelegenen Parkhaus ankamen. Ein Fußweg von 4 Minuten war anschließend noch zum Hotel nötig.
So hatten das Mario´s Eltern auch immer gemacht.
Mit ihren beiden Reisetaschen kamen die vier um kurz nach 14 Uhr an der Rezeption an und Mario übernahm die Verständigung. Die zwei Doppelzimmer befanden sich im zweiten Stockwerk nebeneinander. Lüppi schloss das Zimmer der beiden auf und sie fanden auf einer Anrichte einen Willkommensgruß vor. Dieser bestand aus einer Flasche Sekt mit zwei Gläsern und frisch aufgeschnittenem Obst. Die Kiwis, Erdbeeren, Ananas und Blaubeeren sahen sehr lecker aus. Der Ausblick vom Balkon auf den Gardasee war noch beeindruckender als der am Tegernsee. Das blau-grün schimmernde Wasser, die hohen Berge rechts und links am Ufer des Sees waren ein schwer beschreibbares Panorama, was Torti beeindruckte und mit ihrem Fotoapparat sofort festgehalten werden musste. Auf einigen Bergkuppen lag noch etwas Schnee und das im September. Auf der rechten Seite sahen sie Häuser, die sich am Wasser befanden und wie an den Berg geklebt aussahen. Große schroffe Gesteinsfragmente traten an vielen Stellen zwischen den Bäumen hervor. Segelboote waren auf dem See verteilt. Unter ihnen befand sich ein Eiscafé und Restaurant an der Promenade. Menschen flanierten in luftiger Kleidung dort entlang. Torti schoss noch mehr Fotos, so gut gefiel ihr der Ausblick.

„Mein Gott, Lüppi, ist das schön hier.“

„Da hast du recht, das ist ein geniales Panorama.“

„Ich frage mich gerade, warum wir nicht schon früher hier waren.“

„Das habe ich mich auch gerade gefragt. Wenn man das hier sieht, ist es umso ärgerlicher nicht früher hier Urlaub gemacht zu haben und hier gewesen zu sein“, bestätigte Lüppi.

„Wir können froh sein, dass Mario uns mit hierhergenommen hat, sonst wären wir womöglich noch später oder nie hierhergefahren.“
Er nahm seine Torti wieder in den Arm.
Vom Nachbarbalkon schauten die beiden herüber.

„Und, was sagt ihr? Habe ich euch zu viel versprochen?“, erkundigte sich Mario.

„Ganz im Gegenteil“, antwortete Lüppi. „Wir ärgern uns gerade, nicht schon früher hierher gefahren zu sein.“

„Also eines muss ich ja sagen“, fing Petra an. „Am Tegernsee war es ja schon sehr schön, aber der Ausblick hier ist ja einfach nur super genial. Das glaubt man ja nicht, wenn man es nicht mit den eigenen Augen sieht.“

„Na, dann wartet mal ab bis ich euch Florenz, Arezzo und vor allen Dingen Siena zeige, das sind traumhafte Städte.“

„Wir sind schon gespannt“, sagte Torti.

„Ganz ehrlich, ich bin sehr glücklich, dass wir vier zusammen Urlaub machen und du uns die Heimat deiner Familie zeigst“, sagte Lüppi mit gerührter Stimme.

„Ich freu mich, wenn es euch gefällt.“

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Torti.

„Ich schlage vor, ich zeige euch den Ort hier“, antwortete Mario.
Eine Viertelstunde später verließen die vier das Hotel und standen auf der Piazza Ill Novembre. Den hatten sie zuvor vom Parkhaus kommend schon überquert. An der Stelle befand sich ein kleiner Hafen für Boote und kleine Ausflugsschiffe. Auch hier wäre Torti sehr gerne mitgefahren. Lüppi versprach ihr, den nächsten Urlaub am Gardasee zu verbringen und ihn einmal komplett zu umrunden. Mario sagte, dann müssten sie sich unbedingt Limone Sul Garda und Malcesine mit seiner Burg ansehen. Er führte die drei als nächstes durch die kleinen Gassen, vorbei an unzähligen Geschäften, Cafés und Restaurants. Nach einer Weile kamen sie an dem Brunnen auf der Piazza Giuseppe Garibaldi an, wo ein Mann auf einer Gitarre spielte und auf Italienisch sang. Petra und Tori waren hin und weg von dem, was sie hörten. Mario teilte den dreien mit, dass der Mann Lieder von Eros Ramazzotti spielen würde. Gehört hatten sie schon mal das eine und andere von dem bekannten Sänger, eine Schallplatte hatten sie nicht von ihm, dies würde sich aber bald ändern. Sie schlenderten durch alle Gassen des Ortes und Lüppi bekam bei den Düften, die ihm im Vorbeigehen an den Restaurants in die Nase kamen, allmählig Hunger.
Um 16.30 Uhr, nach zwei Stunden, waren sie wieder zurück am Hotel und setzten sich ins Eiscafé. Mit ganz köstlichem Eis im Becher und einem Blick auf den See mit seinen Bergen sollte auch am zweiten Tag des Urlaubs die Zeit möglichst nicht vergehen.

 

Samstag, 17.30 Uhr 
Essen Frohnhausen

Die drei waren von ihrem Hausausräum-Ausflug zurück. Mit mehr Dingen als Gördi mitnehmen wollte. Leider konnte er sich gegen seine Heike und Töchterchen Nina nicht zur Wehr setzen und so wurde mehr eingepackt als es ihm lieb war. Er als Kopfmensch hatte sich schon beim Ausräumen der besagten Dinge gefragt, wo bitte sollten sie das alles lassen. Seine beiden Damen, wie er sie ab dem Tag bezeichnete, hatten ihm aber gesagt, das würde sich schon finden.
– Ja, nee, is schon klar, der nicht vorhandene Platz findet sich schon, wenn man ihn benötigt. Wie doof ist das denn? – hatte er sich gedacht.
Aussprechen wollte er es nicht.
Nun waren sie Zuhause in der Kölner Straße und der Platz für die zu viel mitgebrachten Dinge wollte sich nicht zeigen und auch nicht finden lassen. Sehr merkwürdig, hatte er den beiden gesagt. Dass er sich mit dem Kommentar ins eigene Abseits stellen würde, wurde ihm erst klar, als er es ausgesprochen hatte. Seine Heike, die er über alles liebte und seine kleine Tochter waren in den wenigen Wochen eine Einheit geworden, zumindest kam es ihm so vor.
Aber Nina wäre nicht Nina, wenn sie nicht auch für das nun aufgetretene Problem eine einfache Lösung parat gehabt hätte.

„Wir stellen die Sachen erst einmal in den Keller von Torti und Lüppi. Die beiden werden nichts dagegen haben“, hatte sie gemeint.
Und so machten sie es auch. Zwar nur unter Protest von Gördi, aber es blieb ihm nichts anderes übrig.

 

Samstag, 19.30 Uhr  
Italien, Gardasee
Riva del Garda

Nachdem alle vier noch einmal für einige Zeit auf dem Hotelzimmer gewesen waren, die Reste des Obstes gegessen und die Abendsonne vom Balkon aus genossen hatten, begaben sie sich um halb acht ins Restaurant. Dass die drei, die noch nie in Italien gewesen waren, etwas essen wollten was man mit dem Land in Verbindung bringt, muss jetzt wohl nicht extra erwähnt werden. Als Nachtisch nahmen sie alle vier noch Tiramisu und einen Espresso. Als sie für einen Abendspaziergang noch einmal durch die Gassen der Innenstadt schlenderten fiel ihr Blick auch auf den See. Die verschiedenen Lichter ringsum am Wasser sahen toll aus und die drei waren auch davon schwer angetan. Oben in ihren Zimmern wieder angekommen, packten sie schon einmal die Begrüßungs-Sektflaschen in die Reisetaschen. Zufrieden von den Eindrücken gingen sie um kurz vor elf zu Bett.

 

3. September 1995, Sonntag, 12.00 Uhr 
Italien, Toskana
Ort,
Figline Valdarno

Bernardo und Michele wurden von einem Taxi, welches sie hatten rufen lassen, abgeholt. Das Taxi verließ in südöstlicher Richtung den Ort Figline Valdarno. Die Fahrt ging zum nächsten Ort, wo die beiden hinwollten. Dies dauerte nicht lange, nur zwölf Minuten. Hier würden die sie den Tag bei einem Mann verbringen, den beide von früher kannten. Er hatte als kleiner Bambini mit seinen Eltern jedes Jahr den Urlaub auf Sizilien verbracht und dabei die beiden kennengelernt. Als erwachsener Mann hatte Vincenzo, so sein Name, geheiratet und war zu der Familie seiner Frau in den Ort San Giovanni Valdarno gezogen. Dort wohnte Vincenzo noch immer. Den Kontakt mit ihm hatte Bernardo nie abreißen lassen. Jetzt, wo er mal Sizilien verlassen hatte, wollte er ihn besuchen. In den Jahren nach der Heirat hatte Vincenzo mit seiner Frau vier Mal Bernardo besucht, nur einmal war Michele gleichzeitig vor Ort. Die anderen drei Male war er mit seinen Söhnen in Südtirol, Österreich und lange Jahre in Deutschland gewesen. Beide freuten sich darauf ihn wieder zusehen.

„Was hast du gesagt, wie lange ist sein letzter Besuch bei dir her?“, fragte Michele während der Taxifahrt.

„15 Jahre, im Spätsommer 1980 war er das letzte Mal mit seiner Frau bei mir. Er hat im Gästehaus gewohnt, wo du jetzt lebst“, antwortete Bernardo.

„Wann hast du das letzte Mal mit ihm telefoniert?“

„Bevor ich ihn wegen heute angerufen habe, mmh… so vor einem dreiviertel Jahr vielleicht.“

„Lass uns vorher noch Blumen für seine Frau kaufen.“
Bernardo sah seinen Freund verwundert an und fragte.

„Seit wann hast du die Ader denn? Das kenne ich ja gar nicht von dir.“

„Es gehört sich halt, wenn man nach langer Zeit einen Besuch macht.“

„Du hast mir aber nie Blumen mitgebracht“, beschwerte Bernardo sich.

„Du bist ja auch keine Frau.“

„Soll das heißen, meiner Frau hättest du Blumen mitgebracht?“

„Wenn du je eine gehabt hättest, ja. Dafür habe ich Maria immer mal etwas mitgebracht. Zum Beispiel die Pralinen aus Belgien oder die Mozartkugeln aus Salzburg.“

„Stimmt, ich erinnere mich.“

„Ich verstehe sowieso nicht, warum du Maria nicht geheiratet hast. Sie hätte dich genommen.“
Bernardo sah Michele erneut überrascht an und erwiderte.

„Auf die Idee bin ich gar nicht gekommen. Warum hast du nicht mal was gesagt?“

„Bitte? Du erwartest jetzt nicht ernsthaft, dass ich dir hätte sagen sollen, du sollst Maria heiraten, oder?“

„Sì

„Du kannst zwar eine Organisation leiten, aber dass du Maria hättest heiraten können, dies muss man dir sagen?“

„Scheint wohl so. Mmh…?“
Nach einer Minute sagte Bernardo zum Taxifahrer.

„Bitte halten Sie vorher an einem Blumenladen.“

 

Sonntag, 14.33 Uhr 
Italien, Toskana
Ort, Figline Valdarno

Alle vier hatten bis 9 Uhr geschlafen und um 10 Uhr gefrühstückt. Auch in dem Hotel hatte es ein Frühstücksbuffet gegeben. Nach einem letzten Blick auf den Gardasee, der den dreien so gut gefallen hatte, nahmen sie nach dem Verlassen des Hotels den vierminütigen Fußweg zum Parkhaus. Um 11 Uhr brachen sie von dort auf, um über Torbole zurück zur Autobahn 22 zu fahren. Als sie auf der A22 waren brauchten sie eine halbe Stunde bis sie aus dem langen Tal, durch das die Autobahn führte, heraus waren. Rechts an Verona und später an Modena vorbei erreichten sie eineinhalb Stunden später Bologna. Von dort ging es noch einmal eineinhalb Stunden weiter, rechts um Florenz herum, zum Zielort Figline Valdarno. Über die Via Giovan Battista del Puglia kamen sie um kurz nach halb drei am
4-Sterne
Hotel Villa Casagrande an. Lüppi parkte den Wagen unter den Bäumen auf dem Parkplatz. Mario sagte, er würde sich um alles kümmern und verschwand im Haupteingang des Hotels. Als die drei alles aus dem Kofferraum geräumt hatten, kam Mario mit zwei Männern wieder. Alle drei hatten einen schnellen Schritt drauf, der Petra sofort auffiel.

„Oh, oh, was kommt jetzt?“, fragte sie.

„Mal sehen… hat die Reservierung doch nicht geklappt?“, überlegte Lüppi.
Torti sagte nichts.

Als Mario und die beiden Männer bei ihnen waren, sagte er.

Questi sono il signor e la signora Lüpke e la mia compagna Petra.
(Das sind Herr und Frau Lüpke und meine Lebensgefährtin Petra.)
Beide Männer nickten und sagten auch etwas auf Italienisch, was die drei natürlich nicht verstanden. Sie reichten ihnen auch die Hände. Sie lächelten und sagten, Hallo.

„Das sind die Söhne von der Freundin meiner Tante“, klärte Mario auf.

„Und was ist los?“, fragte Petra.

„Nichts, alles prima.“
Was dann geschah, damit hatten sie nicht gerechnet. Die zwei Männer nahmen die Koffer und Taschen und trugen sie ins Hotel. Lüppi und Torti staunten nicht schlecht. Den beiden Söhnen der Hotelinhaberin folgend, am Empfang vorbei, ging es direkt auf die beiden Zimmer.
Halt, es waren keine Zimmer, sondern zwei Suiten von insgesamt fünf. Die von Torti und Lüppi ging über zwei Etagen. Petra´s und Mario´s war auch nicht viel kleiner. Auf der unteren Ebene bei Torti und Lüppi waren Couch, Sessel, Couchtisch und eine Essgruppe, dazu eine kleine Küche. Im oberen Bereich unter dem Dach ein geräumiges Schlafzimmer. Alles mit Geschmack eingerichtet. Die Suite von den beiden befand sich auf einer Ebene und war etwas moderner gehalten. Alle vier waren von den Unterkünften begeistert. Zunächst wurden die Koffer ausgepackt und die Kleidung in den Schränken verstaut. Um 16 Uhr trafen sich die vier am Empfang, um sich in der Anlage von Villa Casagrande näher umzusehen. Nach einer kurzen Besichtigung des Gartens und der zwei Innenhöfe schauten sie sich noch das eigene Ristorante Convivio im Casagrande an. Der Speiseraum befand sich in einem genauso alten Gebäudeteil wie das ganze übrige Hotel. Unter hohen alten Holzdecken mit massiven Balken sahen sie Tische mit zwei Tischdecken und dazu Stühle mit weißen Überhängen. Überall stand eine Flasche auf den Tischen. Torti ging schauen, was das für ein Wein wäre.

„Und?“, fragte Lüppi.

„Hier steht von Bolgheri Rosso drauf“, antwortete sie.

„Das ist Rotwein“, klärte Mario sie auf.

„Hier liegen an allen Plätzen drei Gabeln und zwei Messer. Und als Nachtischbesteck auch eine Gabel. Wofür braucht man die alle?“

„Das ist für zwei Vorspeisen, den Hauptgang und den Nachtisch“, wusste Mario.
Torti sah an sich selbst herab und meinte.

„Na, hoffentlich passen mir hinterher noch meine Sachen, wenn wir hier die nächsten Tage öfter Essen gehen.“

Über den Eingang des Restaurants verließen die vier die Hotelanlage und gingen in den Ort. Schnell waren sie auf dem Plazza Marsilio Ficino und sahen die dortigen Straßencafés. Dort setzten sie sich hin. Nach einer Dreiviertelstunde bezahlten sie und schauten sich die Geschäfte in den Straßen von Corso Matteotti und Corso Giuseppe Mazzini an. Einige Modegeschäfte mit italienischem Schick waren zu bestaunen.
Eigentlich hätte Mario nach der Ankunft mit den dreien zu seiner Familie gewollt, hatte aber von Petra gesagt bekommen, sie würden sie morgen besuchen gehen. Mario hatte daraufhin bei Onkel und Tante angerufen und Bescheid gesagt. Von der Hotelinhaberin und Freundin der Tante hatten sie schon gehört, dass sie angekommen waren.
Um 18 Uhr waren die vier von ihrem kleinen Stadtausflug zurück im Casagrande. Hier lief ihnen die Inhaberin über den Weg.

Guarda, Mario“, sagte die Hotelinhaberin und nahm Mario in den Arm, nach Küsschen links und rechts, fragte sie ihn. (Schau, Mario)

Come stai e quando vai a trovare tua zia?”
(Wie geht es dir und wann besucht du deine Tante?)

Senti Marta, piacere di vederti. Grazie per averci permesso di essere qui con voi e grazie per le due fantastiche suite. Io, o meglio noi, stiamo bene. Domani andiamo a trovare Carlotta e Jacopo.
(Schau Marta, schön dich zu sehen. Danke das wir hier bei dir sein dürfen und danke für die beiden tollen Suiten. Mir oder besser gesagt uns, geht es gut. Wir besuchen morgen Carlotta und Jacopo.)

Oh... Carlotta non ha gradito che tu non venissi subito da loro.“ (Oh… das hat Carlotta aber nicht gefallen, dass ihr nicht sofort zu ihnen gekommen seid.)

Penso di sì“, sagte Mario. (Ja, das denke ich mir.)
„Aber lass uns deutsch sprechen, damit die drei auch verstehen, was wir sagen.“

„Danke, das ist lieb von euch“, sagte Lüppi. „Man, ist das komisch, wenn man nichts versteht.“

„Schau, Martin, ich bin Marta“, sagte sie und nahm Lüppi nach Küsschen links und rechts in den Arm und drückte ihn fest, als wenn sie sich schon Jahrzehnte kennen würden.

„Hallo, Marta“, erwiderte Lüppi.
Anschließend war Torti an der Reihe.

„Schau, Marianne, schön dich kennenzulernen.“
Torti erwiderte den Gruß und danach war Petra an der Reihe. Marta nahm Petra´s Arme in die Hände, sah sie sich an und sagte.

„Mein Gott, siehst du toll aus und der Südtiroler Bauernzopf steht dir richtig gut. Jetzt sieht man, warum Mario so viel Gefallen an dir hat.“

„Danke schön, den Zopf trage ich immer.“

„Wenn du jetzt noch italienisch könntest, würde jeder glauben, du bist eine von uns hier. Deine schlanke Figur, wie eine Italienerin“, sagte sie und nahm sie auch in den Arm nach Küsschen links und rechts.

„Danke, ich wusste nicht, dass mein Aussehen hier passen würde“, erwiderte Petra.

„Ich habe für euch einen Tisch in unserem Ristorante reserviert. Seit um 20 Uhr dort, ich weiß ja, das Deutsche gerne früh essen. Das Menu habe ich für euch zusammengestellt. Es wird euch schmecken.“

Grazie, Marta”, sagte Mario und auch die drei sagten das italienische Wort für Danke. „Grazie.“

„Wir sehen uns”, sagte Marta und ging weiter.

„Um 20 Uhr essen ist früh?“, fragte Torti nach.

„Hier schon. Es ist nicht üblich vor 21 Uhr essen zu gehen“, klärte Mario auf.

„Wieso spricht Marta so gut Deutsch?“, wollte Petra wissen.

„Sie hat in Südtirol Hotelfachfrau gelernt und anschließend zehn Jahre dort gearbeitet und hinterher ein kleines Hotel geleitet. Ihren Mann hat sie dort kennengelernt, der war aus Siena. Später hat sie hier das Hotel ihrer Eltern übernommen. Ihr Mann ist vor fünf Jahren verstorben.“

Nach einem Aufenthalt in ihren Suiten gingen sie pünktlich, wie für Deutsche üblich, um kurz vor 20 Uhr runter.
Der Tisch war nicht im antiken Waffensaal für die vier reserviert, sondern, wie in den Sommermonaten üblich, unter dem Kreuzgang, eine Art Laubengang. Einen tollen Tisch am Ende des Kreuzgangs hatte Marta ausgesucht. Von oben hingen Ranken herab und es war eine ganz besondere Stimmung für die vier. Von Mario erfuhren sie, ein typisches Toskana-Menu bestand aus vier Gängen.
Der erste Gang, als Antipasto bezeichnet, war eine Auswahl von toskanischen Wurst- und Käsesorten und
Acqua cotta. Das ist gekochtes Wasser mit Tomate, Sellerie, Zwiebel, Brot, Ei, Olivenöl und Peperoncino.
Als zweiter Gang, dort als Primo bezeichnet, wurde den vieren ein Klassiker serviert. Tortelli maremmani ist bei uns bekannt als Tortellini. Die vier erhielten gefüllte Teigtaschen mit Ricotta und Gartengemüse der Saison, der in dem Fall abwechselnd Spinat oder Brennnesseln beinhaltete und das Ganze wurde in einer Soße aus Butter und Salbei serviert.
Im Gang Nummer drei, als Secondo bezeichnet, gab es als Hauptgang Tagliata vom Maremmaner-Rind, dies ist eine eigenständige Rasse in der Toskana. Die Rinder aus Maremma leben ist einem Naturpark im italienischen sumpfigen Küstenland. Die Tagliata war in dünne Scheiben geschnitten und mit einer Soße aus Morellino-Rotwein und Gewürzen zubereitet.
Im vierten und letzten Gang, Dolce heißt er, ist der süße Abschluss der Speisenfolge und ein Ricotta-Mousse mit Feigen und Nüssen bildete hier den Abschluss.
Das Lüppi bei dem ein und anderen den Mund verzog, weil er es nicht mochte, muss hier erwähnt sein. Den anderen dreien schmeckte es gut, nur zu viel, für deutsche Mägen. Um 23 Uhr gingen sie vollgefuttert zu Bett.

 

Sonntag, 23.20 Uhr 
Italien, Toskana
Ort, Figline Valdarno

Bernardo und Michele kamen mit dem Taxi zurück zum Hotel. Nach einem kleinen Absacker, der noch eine halbe Stunde dauerte, gingen sie um 0.30 Uhr zu Bett. Sie hatten eine gemeinsame Suite mit zwei Schlafzimmern, die sonst eigentlich für Familien gedacht war. Von Zimmer zu Zimmer sprachen sie noch eine Weile miteinander, bis Michele auf die letzte Aussage von Bernardo nicht mehr antwortete. Auch auf mehrfaches Nachfragen antwortete er nicht. Er stand auf, um nach seinem Freund zu sehen. Leicht schnarchend schlief er bereits.

 

 
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