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Taschenbuch:   ISBN: 9783758437984
eBook(ePub):   ISBN: 9783758438004
Seiten: 562

 

Inhaltsangabe:

Der Kriminalhauptkommissar Martin Lüpke, Spitzname Lüppi, und sein Team werden zu einem Toten in einer Alten-Residenz nach Essen-Werden gerufen. Nach und nach kommen noch weitere Personen in anderen Stadtteilen und in der Nachbarstadt auf die gleiche Art ums Leben. Mit den dortigen Kollegen fängt eine gemeinsame Ermittlung an. Selbst in einer dritten und zwei entfernten Städten kommen weitere Fälle hinzu. Lüppi und das Team suchen eine Verbindung zwischen all diesen Fällen.

 

Leseprobe:

5. Oktober 1995, Donnerstag, 8.35 Uhr
Polizeipräsidium Essen

Alle fünf waren seit kurz vor acht im Büro. Es fehlte am zweiten Tag in Folge, Jasmin. Angerufen hatte sie auch nicht. Die drei, Heike, Petra und Gördi machten die Fallakten weiterhin fertig. Petra legte die Akte vom ersten Mordopfer als erstes zu Lüppi auf den Schreibtisch. Wie immer blätterte er die Akte durch und schaute, ob alles vorhanden war und klappte die Akte zu.
Jasmin kam, grüßte und ging zu ihrem Schreibtisch. Dann fiel ihr ein, sie müsste etwas zu Lüppi sagen. Das tat sie und ging zu ihm.

„Entschuldigung, ich habe mich etwas verlaufen. Ich bin in die falsche Richtung gegangen, das habe ich aber erst gemerkt, als ich an der A40 stand. Anrufen konnte ich leider nicht, ich hatte kein Kleingeld für die Telefonzelle.“

„Setz dich“, sagte Lüppi knapp.
Lüppi nahm einen Kugelschreiber und schrieb etwas unten auf den Pappdeckel der ersten Fallakte von Sebastian Dressler. Als er fertig war, unterschrieb er noch darunter. Er nahm die Akte und gab sie Petra zurück. Heike und Gördi gaben die Fallakten vom zweiten und dritten Opfer gleichfalls Lüppi. Auch da schaute er kurz durch.
Auf dem Gang waren Schritte zu hören.
Es klopfte an der offenen Tür. Es waren Mario, Marcel und Lothar. Alle grüßten und Marcel fragte.

„Und hast du deine berühmten Sätze schon drauf geschrieben?“

„Ich bin dabei, ihr seid zu früh“, sagte Lüppi und setzte den Kugelschreiber ein zweites Mal an.
Im Anschluss folgte noch der Abschlusstext auf der dritten Akte. Jasmin und Meik, die das Ganze nicht kannten, wunderten sich. Zu fünft standen sie um Petra herum, die am Schreibtisch saß und alle schauten, was Lüppi geschrieben hatte. Auf dem Pappdeckel der ersten Akte stand.

‚Wie uns alle sagten, war er ein ganz lieber Mensch, dem die Großzügigkeit seiner Kollegin zum Verhängnis wurde und das alles nur weil ein Mensch glaubt, es müsse sich alles um ihn drehen. Er war definitiv das falsche Opfer.‘
M. Lüpke

Auf der zweiten Akte von Hannelore Osterfeld war zu lesen.

‚Ich kann mir keinen schlimmeren Mordgrund vorstellen, als dass eine alte Dame sterben muss, weil sie in einer Wohnung wohnt, die jemand anders haben möchte.‘
M. Lüpke

Auf der dritten Akte von Axel Herrmann war zu lesen.

‚Seine Gedanken, die er sich um seine Mitmenschen machte, wurden ihm leider zum Verhängnis. Nicht nur die Hunde und Katzen in Mülheim Saarn werden diesen Herzensguten Menschen vermissen.‘
M. Lüpke

„Wie wahr, wie wahr“, resümierte Marcel mal wieder.

„Ich bin von deinen berühmten Abschlusssätzen immer wieder begeistert“, gestand Lothar.

„Ich bin mir nicht sicher, aber man könnte den Eindruck bekommen, alle Frauen, die mit Vornamen Kerstin heißen, sind irgendwie verstrahlt im
Kopf“, ließ Gördi von sich hören.

„Du denkst dabei an Kerstin Habig, die Ex von Torti´s Dirk?“, fragte Heike nach.

„Ganz genau, die ging so in die Richtung von Kerstin Maiwald.“ (Kommissar Lüppi - Band 4)

„Da stimme ich dir zu.“

„Die hat aber niemanden umgebracht“, warf Petra ein.

„Zumindest wissen wir noch nichts davon“, fügte Lüppi an.

„Was nicht ist, kann noch werden“, ergänzte Mario.

„Apropos, was ist denn jetzt eigentlich mit dem Nachbarn Paul Vetter“, fragte Marcel. „Mario hat mir erzählt, der vermietet an die Gruppe ‚Neues Reich‘ eine große Halle in Duisburg?“

„Stimmt, das hat gestern Frau Maiwald ausgesagt“, bestätigte Lüppi. „Kümmern wir uns drum. Wenn wir dort nichts in unserem Bereich finden sollten, also ich meine Waffendelikte mäßig, dann geben wir es weiter an die KK31 zu Karin und Hans.“

„Wir sollten auch noch mal nachhören, warum der nette Herr Vetter uns belogen hat, er wäre um den Nachbargarten in den von Herrn Herrmann gelaufen. Denn wie wir jetzt wissen, geht das ja gar nicht“, machte Petra darauf aufmerksam.

„Das wüsste ich auch gerne“, sagte Mario.

„Was ist denn jetzt eigentlich mit dem Apotheker Jakob Tondorf? Mario hat mir auch davon erzählt“, sagte Marcel.

„Jasmin!“, rief Lüppi, ohne sie anzusehen.
Diese Art des Umgangs bemerkte Lothar und schaute Lüppi direkt an. Ihre Blicke trafen sich und Lothar sah, mit Jasmin lief es nicht rund. Fragen tat er nicht, da er zuvor im Treppenhaus auf Marcel und Mario getroffen war und Mario schon nach Meik und Jasmin gefragt hatte. Mario hatte ohne Umschweife das wiedergegeben, was er Zuhause erzählt bekommen hatte.
Als Jasmin am Schreibtisch von ihm stand sagte sie.
„Da bin ich.“

„Unser Oberstaatsanwalt hat eine Frage gestellt, die du bestimmt gehört hast. Erzähle uns bitte, was du bis jetzt zu dem Apotheker Tondorf herausgefunden hast“, bat Lüppi.

„Herr Tondorf hat ja ausgesagt, er habe sich Vergleichsangebote von anderen Herstellern geben lassen, um besser mit den Medikamenten-Herstellern verhandeln zu können. Das war gelogen. Alle Apotheken kaufen ihre Medikamente vom Großhandel und nicht von den Herstellern“, sagte Jasmin und fragte. „Soll ich weiter ausholen?“

„Gerne, das würde mich auch interessieren“, antwortete der Kriminaldirektor ihr.

„Die Hersteller verkaufen ihre Medikamente an eine Großhandelsfirma und diese wiederum dann an die Apotheken. Stellt sich nun die Frage, wieso kaufen die Apotheken dann nicht direkt bei den Herstellern ein? Ganz einfach“, sagte Jasmin und berichtete weiter.
„Die Hersteller verpacken ihre Ware nur in großen Verpackungseinheiten. Bei manchen Waren kommen diese Verpackungen auf Paletten oder in Containern. Die Verteilung überlassen die Medikamenten-Hersteller den vielen Großhändlern. Da sie ihre lokale Kundschaft mit eigenen Fahrzeugen beliefern, Rechnungen schreiben und noch Ware von anderen Herstellern dazu packen können. Gerade bei Apotheken kommt es manchmal auf Schnelligkeit an. Der Großhändler hat alles auf Lager und kann sehr viele Apotheken im Umkreis von 50 km mit Lieferungen versorgen. Es kommt regelmäßig vor, dass der Großhändler mehrfach am Tag eine Apotheke beliefert. Grundsätzlich ist der Einkauf für den Großhändler mit riesigen Mengen günstiger als wenn die Apotheken selbst beim Medikamenten-Hersteller einkaufen. Beim Großhändler bekommen sie bessere Preise. Somit war die Aussage von Herrn Tondorf eine Falschaussage.“

„Danke für die Ausführung“, sagte Lüppi und lächelte sie an.

„Somit hat der Herr Tondorf euch einen vom Pferd erzählt“, resümierte Mario.

„Fragt sich nur, warum er so schnell bereit war, hierher zu kommen?“, fragte Heike.

„Um uns dann irgendeinen Mist zu erzählen“, ergänzte Gördi.

„Werden wir noch herausfinden“, sagte Lüppi. „In aller Regel lassen die Antworten auf solche Fragen nicht allzu lange auf sich warten.“

„Ist Frau Dr. Schneider schon mit der Obduktion bei der älteren Dame aus dem Altenheim fertig?“, fragte Lothar.

„Ja, ist aber kein Fall für uns“, antwortete Heike.

„Sie ist also einfach so verstorben?“, fragte Marcel nach.

„Ganz genau“, bestätigte Gördi.

„Dann habt ihr ja jetzt nichts mehr zu tun“, machte Lothar die Feststellung.

„Was hast du denn, was du uns geben möchtest?“, erkundigte sich Lüppi bei ihm.

„Du, Lüppi oder ihr erinnert euch noch daran, dass ich von euch eine Zusammenstellung aller Fälle der letzten Jahre brauchte?“, fragte Lothar.

„Jetzt sag bitte nicht, die Zusammenstellung von unserem lieben Ex-Kollegen Peter Kordes war was für den Arsch“, bat Lüppi.

„Doch leider. Ich habe in der Aufstellung Fälle von anderen Kriminalkommissariaten gefunden“, fing der Kriminaldirektor an.
„Es sind Lücken im zeitlichen Ablauf, einiges ist unvollständig, ich könnte noch eine Stunde lang weitermachen. Fazit des Ganzen. Es muss neu gemacht werden“, sagte Lothar.

„Ach, du dicke Scheiße“, war von Lüppi zu hören.

„Wäre es für dich in Ordnung, wenn Frau Ambrose dies tun würde?“, fragte er bei Lüppi nach und sagte zu Jasmin.

„Sie haben so toll über die Apotheken recherchiert, ich glaube, Sie sind genau die richtige Person für eine solche Aufgabe. Das wird niemand besser können als Sie.“

Petra´s Telefon schellte. Da sie am Schreibtisch saß, nahm sie den Hörer ab und meldete sich.

„Kriminalkommissarin Petra Wilkerling, guten Morgen.“

„Hallo Petra, ich bin es“, sagte der wachhabende Kollege aus der Wache von unten.

„Es haben sich zwei Kollegen gemeldet, die nach Werden zu einer Alten-Residenz gerufen worden sind. Der Hausarzt vor Ort ist sich sicher, bei Herrn Pfeifer stimmt was nicht. Es müssten einer oder zwei von euch dort hin.“

„In Ordnung, wo ist das denn genau?“, fragte Petra nach.
Dies teilte ihr der wachhabende Kollege mit.

„In Ordnung“, erwiderte Petra.
„Kannst den Kollegen sagen, wir kommen.“
Alle sahen sie fragend an.

„Wir haben eine männliche Leiche in einer Alten-Residenz in Essen-Werden. Der Arzt hat die Kollegen kommen lassen.“

„Gut, Heike, Gördi und Meik, ihr fahrt dort hin“, legte Lüppi fest.
Wenige Augenblicke später gingen die drei.
Lothar Bäumler bat Jasmin bitte mitzukommen, er würde ihr die Aufgabe ganz genau erläutern. Die verdrehenden Augen konnte er da selbst einmal sehen.
Als auch Marcel und Mario weg waren, schaute Petra ihren Vater fragend an. Er sah ihre Blicke, sagen tat er erst einmal wieder nichts.
Sie lächelte ihn an, er lächelte zurück. Nach einer Minute der Stille sagte sie ihm.

„Ich könnte dich ja jetzt fragen, aber ich glaube, das ist gar nicht nötig…, daher sage ich jetzt nur zu dir…, wenn du fertig bist könnten wir von mir aus los.“
Lüppi lächelte sie nun noch mehr an. Er stand auf, sie tat das Gleiche, er fragte. „Block?“

„Habe ich.“

„Vorher anrufen?“

„Würde ich nicht“, erwidert sie.

„In Ordnung“, sagte er und beide gingen.
Auf dem Weg zum Auto sahen sie sich immer wieder an, miteinander sprechen taten sie nicht. Nachdem beide ins Auto gestiegen waren, fuhr er los.

 

Donnerstag, 10.00 Uhr
Mülheim an der Ruhr, Ortsteil Saarn

Beide waren in der Straße Oemberg eingebogen und stellten den Mercedes am Straßenrand vor dem Haus von Herrn Vetter ab. Sie stiegen aus und gingen auf das Haus zu. Lüppi hatte dabei so das Gefühl, das Haus würde irgendwie still wirken. Da er das selbst für ‚Blödsinn‘ hielt, teilte er es Petra gar nicht mit. An der Haustür angekommen drückte Petra auf die Türklingel. Es läutete hörbar. Sie warteten. Lüppi schaute sich um. Vor dem Haus stand der alte Opel Rekord von ihm. Petra drückte erneut auf die Klingel. Bei einem Blick über zwei Grundstücke hinweg erblickte er Frau Heigen an ihrem Küchenfenster. Ihm fiel die Aussage von Bernd Müller, dem Stiefsohn vom Mordopfer Herr Herrmann wieder ein, der da gesagt hatte, Frau Heigen würde in der Straße das FBI‘ genannt. Um sie zu grüßen war er
gerade dabei den Arm zu heben, da verschwand sie vom Küchenfenster. Lüppi stutzte, er fand ihr Verhalten merkwürdig. Petra bemerkte, dass er was hatte.

„Was ist los?“, fragte sie ihn.

„Ich habe Frau Heigen am Küchenfenster gesehen als sie bemerkte, dass ich zu ihr sehe, ist sie vom Fenster verschwunden.“

„Du meinst, sie hat sich abgewendet?“

„Nein, nicht herumgedreht oder so, sondern bei Seite gegangen. So wie, huch, er hat mich gesehen.“

„Vielleicht war es ihr peinlich, dass du sie beim Beobachten erwischt hast“, glaubte Petra.

„Kann sein…“, sagte er zu ihr.

„Wir hätten doch vorher anrufen sollen“, meinte sie.

„Fällt dir etwas auf?“, erkundigte er sich bei ihr.

„Der Hund bellt nicht wie beim letzten Mal.“

„Genau. Komm wir gehen mal ums Haus“, sagte er und ging vor.
Zwischen der links angebauten Garage und ein paar Sträuchern kamen beide hinter das Haus. Auf der Terrasse stand ein Tisch mit vier Stühlen. Die Terrassentür schien verschlossen zu sein. Bei näherem Hinsehen sahen beide Spuren an der doppelflügeligen Tür. Als sie sich näherten erkannten sie die Spuren als Einbruchspuren. Petra hielt ihre Hände links und rechts vom Gesicht an die Glasscheibe, um besser ins Wohnzimmer schauen zu können. Dabei ging der linke Türflügel etwas auf. Beide sahen einander an.
Lüppi holte seine Dienstwaffe aus seinem Holster und entsicherte sie. Petra folgte seinem Beispiel.
Mit einer Handbewegung in ihre Richtung, was so viel hieß wie, gehe mal ein Stück zurück und lass mich vor, schob er die Tür bis zum Anschlag auf.

„Hallo, ist jemand da? Hier spricht die Polizei“, rief Lüppi laut und beide warteten ab.
Es kam keine Reaktion.

„Hallo, ist jemand da?“, rief er noch einmal, wartete kurz und fügte an. „Wir kommen jetzt rein.“

 

Donnerstag, 10.10 Uhr
Essen Werden
Alten-Residenz

Die drei waren fast zur gleichen Zeit an der Alten-Residenz angekommen. Lange hatte Gördi einen Parkplatz suchen müssen, da die Besucherparkplätze alle besetzt waren. Die Alten-Residenz befand sich mitten in Werden, was die Parkplatzsuche nicht gerade erleichterte, ganz im Gegenteil. Der Ford Sierra stand einige hundert Meter entfernt.
Vor dem Eingang der Alten-Residenz befand sich mitten auf dem Zugang der Streifenwagen der Kollegen.
Beim Betreten des Hauses erblickten sie einen der zwei im Eingangsbereich, er sah sie und kam auf die drei zu. Gördi stellte Meik kurz vor und sie erfuhren, Herr Pfeifer würde sich im ersten Stock auf der linken Seite befinden. Dort angekommen sahen sie das am Ende, auf der rechten Seite des dortigen Ganges, eine Zimmertür aufstand. Heike´s erster Eindruck nach dem Betreten des Einzelzimmers des Verstorbenen war.

– Unter einer Residenz habe ich mir mehr vorgestellt. – dachte sie.

„Guten Morgen, Kollege“, grüßte Gördi und sah auf dem Bett den Verstorbenen liegen.
Er lag quer, seine Beine hingen herab und er hatte nur Socken an. Sein Kopf lag auf der Brust, da sein Hinterkopf an der Zimmerwand lehnte. Er trug eine Strickjacke älteren Datums, die an den Ellenbogen verschlissen war und Löcher hatte. Seine Kordhose hatte auch den einen und anderen Flecken.
Gördi hatte mit dem Anblick erst einmal kein Problem, da der ältere Herr wie schlafend aussah. Nichts deutete daraufhin, dass er verstorben war.
Heike stand direkt vor ihm und sah ihn sich genau an. Meik befand sich mitten im Zimmer und schaute sich um.

„Der Doktor ist schon weg?“, erkundigte sich Gördi bei dem Streifenkollegen.

„Ja, er musste weiter. Er hat mir für euch seine Visitenkarte dagelassen“, antwortete der Kollege und hielt Gördi die Karte hin.
Er nahm sie und las vor, was dort stand.

Dr. Werner Neumann, Facharzt für Geriatrie.“

„Was bitte ist denn Geriatrie?“, fragte Meik nach.

„Das ist ein Arzt für Senioren“, antwortete Gördi.

„So etwas gibt es“, wunderte er sich.

„Ganz ehrlich“, sagte der Streifenkollege. „Ich habe mich auch gefragt, was das denn sein soll. Ich wollte aber nicht fragen. Der Doktor hat mir gesagt, von ihm würde es nicht so viele geben.“

„Was genau hat der liebe Herr Doktor denn gesagt?“, fragte Heike.

„Er ist heute Morgen von der Heimleitung angerufen worden, der Herr Pfeifer wäre verstorben. Er meinte zu uns, er habe ihn sich angesehen und an Hand, wie der verstorbene dort liegt, glaubt er an einen plötzlichen und nicht natürlichen Tod.“

„Das war alles, was er sagte?“, fragte Heike nach.

„Ja, mehr war nicht. Ihm ist es an Hand der Lage, wie der Herr Pfeifer dort liegt, komisch vorgekommen.“

„Klingt ja interessant“, fand Meik.

„Wie meinst du das?“, erkundigte sich Gördi.

„Wenn der ältere Herr tot im Bett gelegen oder er ihn in seinem Sessel sitzend vorgefunden hätte, wäre er nicht auf den Gedanken gekommen, hier könnte etwas nicht stimmen“, fasste Meik seine Überlegungen zusammen.

„Mmh…“, ließ Heike von sich hören

„Die KTU ist verständigt?“, fragte Gördi nach.

„Ist auf dem Weg“, war die Antwort vom Streifenkollegen.

 

Donnerstag, 10.15 Uhr
Mülheim an der Ruhr, Ortsteil Saarn

Lüppi und Petra hatten sich im Erdgeschossbereich des Hauses umgesehen. Die Schränke waren alle zu, nichts war durchwühlt und niemand schien etwas gesucht zu haben. Auf den ersten Blick fehlte auch kein teures Elektrogerät wie zum Beispiel, der Fernseher, die HiFi-Anlage oder
desgleichen. Herr Vetter war genauso wenig zu finden, wie sein verschmuster Kampfhund. Der nächste Weg führte sie ins ausgebaute Dachgeschoss. Neben einem Zimmer mit einem Einzelbett, was wahrscheinlich als Gästezimmer diente, war auch ein deutlich größeres Studio vorhanden. Dies erstreckte sich über die ganze rechte Hausseite. Die Tür zu dem Studio war ebenfalls aufgebrochen worden und stand auf. Der oder die Einbrecher hatten mit einem Fußtritt in der Höhe der Türklinke das verschlossene Türschloss aus der Türzarge getreten. Das Schließblech hing vom Türrahmen herab. Das was sie dort zu sehen bekamen, versetzte beide in Staunen, denn so etwas hatte auch Lüppi noch nie gesehen. Ihnen fielen die Schilderungen von Heike und Gördi wieder ein, die während ihres Ermittlungsurlaubs im Haus von
Hubert Berger waren. Beide hatten erzählt, was der ehemalige SS-Sturmbannführer in einem abgeschlossenen Kellerraum aufbewahrte. Das Studio passte genau zu der Schilderung der beiden. (Kommissar Lüppi - Band 6)
In der Mitte des Raumes stand ein langer Tisch für neun Personen. Vier auf jeder Seite und vor Kopf einer. Dieser schien ein besonderer Sitzplatz zu sein. Der Stuhl war größer als die anderen.
Der Tisch war für ein Abendessen mit Tellern, Besteck und Gläsern gedeckt. Auf den Tellern und den Gläsern war das Hakenkreuz zu sehen. Zwei Wimpel in den Farben der Nationalsozialisten standen auf dem Tisch. An den Wänden hingen Fahnen mit dem Kreuz. Militärhelme, Schusswaffen, Säbel und andere Dinge lagen auf Anrichten zu beiden Seiten. Lüppi sah sich rechts die Dinge an und Petra die auf der Linken.

„Hier fehlt was“, sagte sie.
Lüppi drehte sich zu ihr um und fragte.

„Was ist es denn?“

„Dem Staubfreien Bereich nach zu urteilen, würde ich auf eine Schusswaffe tippen“, antwortete sie.

„Lass uns mal in den Keller gehen. Das, was ich hier gesehen habe, reicht mir schon.“
Beide verließen den ausgebauten Dachboden.


Donnerstag, 10.35 Uhr
Essen Werden
Alten-Residenz

Während Heike oben bei dem Streifenkollegen und dem Verstorbenen geblieben war, war inzwischen Moris Veigel mit einem Kollegen aus der KTU eingetroffen. Horst war nicht mitgekommen, weil er die Berichte der letzten Tage fertigmachen wollte.
Gördi und Meik hatten die Heimleitung aufgesucht. Die Dame, selbst kurz vor dem Rentenalter, schien sehr bestürzt über den Tod von Herrn Pfeifer zu sein. Sie erzählte den beiden Kriminalbeamten von sich aus, wie nett und zuvorkommend der ältere Herr gewesen sei. Sie ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er nun in der Gemeinschaft fehlen würde.

„Wie ist denn der vollständige Name?“, fragte Gördi.

„Klaus Pfeifer, er wohnte seit 8 Jahren hier.“

„Wie alt war Herr Pfeifer?“

„Er ist letzte Woche 80 Jahre alt geworden.“

„Wir haben hier die Karte von Dr. Neumann, Arzt für Geriatrie. Was können Sie uns zu dem Herrn sagen? Warum ist er gerufen worden?“

„Den Dr. Neumann haben wir hier für unser Haus engagiert, damit hier nicht so viele Ärzte herumlaufen müssen. Hinzukommt noch, bevor der Dr. Neumann hierher kam, hatten wir zum Beispiel das Problem, wollten mal drei
Bewohner das ein Arzt zu ihnen kommt, haben wir teilweise in drei Arztpraxen anrufen müssen. Zwei von denen schafften es dann auch in den nächsten Stunden hierherzukommen, aber leider Arzt Nummer drei nicht, weil seine Praxis vor Patienten überlief. Was passierte dann, die dritte Person hat sich beschwert und war stinksauer, weil die anderen beiden ihren Arztbesuch hatten und die Dritte nicht. Um dem Ärger aus dem Weg zu gehen, haben wir uns für einen Arzt entschieden, der alle versorgt.“

„Hat der Dr. Neumann hier so eine Art Praxis?“

„Es gibt hier einen Behandlungsraum, der wird aber nur selten benutzt. Den Großteil kann er bei den Bewohnern in deren Räumen erledigen“, erklärte die Dame der Heimleitung.

„Dann wissen Sie also ganz genau, wann der Herr Dr. Neumann immer so hierherkommt?“

„Nein, nur bei bestimmten Bewohnern. Die meisten machen mit Dr. Neumann selbst die Termine aus oder er geht bei dem einen oder anderen Bewohner vorbei, weil er gerade mal hier ist.“

„Wo hat der Dr. Neumann seine Praxis?“, fragte Meik.

„Er hat keine Praxis im herkömmlichen Sinne. Er hat bei sich zuhause zwei Räume, die das Behandlungszimmer und sein Büro sind. Aber keine Praxis mit Patienten, wie sonst üblich.“

„Das heißt, er ist dann bei mehreren Altenheimen engagiert?“

„Ja, Altenheime auch und Alten-Residenzen, wie wir hier.“

„Interessant“, sagte Meik.

 

Donnerstag, 10.50 Uhr
Mülheim an der Ruhr, Ortsteil Saarn

Lüppi und Petra hatten die offene Kellertür bei ihrer ersten Begehung im Erdgeschoss schon gesehen. Wieder ging Lüppi mit der Dienstwaffe in der Hand vor, nachdem er das Licht eingeschaltet hatte. Die Kellertreppe war aus nacktem Beton, also unverkleidet. Genauso sahen die Wände aus, unverputzte Mauersteine waren hier zu sehen. Unten angekommen befand sich eine Art Dielenraum. Von dort gingen drei Türen ab. Alle drei Türen standen auf. Ein Blick in den rechten Raum ergab, hier war eine Gas-Heizung installiert. Lüppi schaute in den nächsten Raum. Hier standen
ringsherum Regale an den Wänden. Petra kam hinter ihm her. Dieser Raum diente für Vorräte und als Abstellkammer. Als beide aus Raum Nummer zwei wieder heraus waren, schauten sich beide an. Beide sahen an Hand des Blickes des anderen, beide vermuteten das Gleiche. Es kam aber zunächst anders. Wieder ging Lüppi vor. Beim Betreten des nächsten Kellerraumes sahen sie, dass sich schräg gegenüber eine weitere Tür befand, diese war aber zu. Beide standen nun mitten im ersten Raum und schauten sich um, dabei auch zurück nach links. An der langen Wand und vor Kopf standen über Eck sieben Vitrinen. Hier waren keine Dinge aus dem dritten Reich aufbewahrt, sondern ausgestopfte Tiere.
Petra stockte der Atem als sie sah, bei jedem Tier befand sich auch jedes Mal ein Schild. Das erste Tier, was sie sich ansah, war eine Katze. Auf dem Schild stand der Name des Tieres.

„Hier steht Minka“, sagte Petra erschüttert.

„Hier auch, aber der Platz ist noch leer“, sagte Lüppi.

„So heißen doch die Katzen vom Ehepaar Heigen.“

„Ja, stimmt und Bernd Müller hat gesagt, Herr Heigen hat dem Vetter gedroht, wenn noch einmal einem Tier etwas passiert…“, gab Lüppi wieder und unterbrach sich selbst.

„Dann würde er ihn umbringen“, vollendete Petra den Satz.
Lüppi sah sie an und legte seinen linken Zeigefinger auf die Lippen. Petra verstand den Hinweis.
In allen sieben Vitrinen befanden sich immer vier Tiere. Bei Vitrine Nummer sieben waren noch zwei Böden leer.
Lüppi nickte in Richtung der nächsten Tür. Petra bestätigte es selbst mit einem Nicken. Er ging zur Tür, in der rechten Hand noch immer seine Dienstwaffe und er legte seine linke Hand auf die Türklinke. Es klebte dort etwas. Er zog sie zurück und sah sich seine Hand an, es war Blut. Petra sah es und presste ihre Lippen zusammen. Sie sahen sich an und dachten das Gleiche.

„Ich gehe Handschuhe und Schuhüberzieher aus dem Auto holen?“, fragte Petra.
Lüppi nickte.

„Kann ich dich hier allein lassen?“, fragte sie nach.
Lüppi nickte erneut.

 

Donnerstag, 11.00 Uhr
Essen Werden
Alten-Residenz

Meik und Gördi waren zurück von der Heimleitung. Moris und sein Kollege waren mit der Spurensicherung so gut wie fertig. Alles war fotografiert worden, auch der Inhalt des Kleiderschrankes und der Kommode, in der Nähe des Sessels.

„Und habt ihr was gefunden?“, erkundigte sich Gördi.

„Nichts Außergewöhnliches. Das Übliche halt“, antwortete Moris.

„Irgendwelche Anzeichen auf äußere Einwirkung in Form von Einstichstellen haben wir bei Herrn Pfeifer auch nicht finden können“, informierte Heike.
Es klopfte an der offenen Zimmertür.

„Einen schönen guten Morgen. Bestattungsunternehmen Behrendts. Wir sollen hier jemanden abholen und in die Rechtsmedizin bringen“, sagte einer von zwei dunkel gekleideten Männern.

„Das können Sie auch sofort“, sagte Moris und gab den Fundort und den Leichnam frei.
Das Funksprechgerät des anwesenden Streifenpolizisten meldete sich. Es war die Zentrale, die mitteilte.

„Wir haben einen Anruf von Kommissarin Wilkerling erhalten. Die zwei Kollegen der KTU sollen als nächstes nach Mülheim Saarn, zum Haus von Herrn Vetter kommen. Und die drei Kollegen der KK11 gleich auch“, teilte die Zentrale mit.

 

Donnerstag, 11.15 Uhr
Mülheim an der Ruhr, Ortsteil Saarn

Petra kam nach zwei Telefonaten aus dem Wohnzimmer und ging erneut zurück in den Keller des Grauens. Handschuhe und Schuhüberzieher hatte sie bereits an. An der Tür des hinteren Kellers blieb sie stehen. Lüppi schaute sich den nackten Leichnam von Paul Vetter an, der auf einem alten Holztisch festgebunden war. Links neben dem Tisch auf dem Boden lag von zwei Kugeln getroffen der Hund des Opfers. Überall war Blut.

„Kannst du mir mal bitte verraten, wie du es schaffst dir so etwas auch genauer anzusehen? Mir reicht der erste Blick schon“, fragte Petra ihn.

„Du meinst die Leiche?“, fragte er nach, obwohl das nun offensichtlich war.

„Ja, ich verstehe nicht wie du dabei so ruhig bleiben kannst.“

„Das ist eigentlich ganz einfach. Mein damaliger Vorgesetzter bei uns in der KK11 war Jahre lang Paul Quandt. Von ihm habe ich einen Tipp bekommen, an den ich mich seitdem halte.“

„Und das wäre was?“

„Das klingt jetzt arg komisch, hat es auch seiner Zeit. Es funktioniert aber“, sagte Lüppi und erklärte weiter.
„Paul hat mir gesagt, du musst dir bei der Sichtung einer solchen Leiche vorstellen, es wäre eine Filmscene und du hast das einmalige Glück dabei zu sein. Er hat es mir an einem ähnlichen Mordopfer gezeigt. Komm mal bitte, hat er auch zu mir gesagt.“
Petra sah ihn an, ging aber nur zögerlich zu ihm. Als sie bei ihm war, gab er ihr einen Kuss auf die Stirn und sagte.

„Ich habe dich lieb, Petra.“

„Ich dich auch, Papa.“
Sie schaute auf den nackten Paul Vetter. Eine starke Abneigung dort hinzusehen überkam sie langsam.

„Schau einmal hier zum Beispiel“, sagte Lüppi und zeigte auf die Brandstellen, die das Opfer an Armen und Beinen hatte.

„Hier kann man sich vorstellen, dass ein Maskenbildner dem Schauspieler, der jetzt hier vor uns liegt, die Brandstellen aufgeschminkt hat. Wenn ich mir dann diese Stellen genauer ansehe, denke ich, der Maskenbildner hat ganze Arbeit geleistet.“

„Der Maskenbildner heißt beim Film Make-up Artist“, korrigierte sie ihn und fragte ihn.
„Und warum bewegt sich dein Schauspieler nicht?“

„Weil er ein absoluter Profi ist und sich von seiner Rolle nicht ablenken lässt, hat Paul mir auch gesagt.“
Petra sah zu Lüppi und danach auf die nächste Brandstelle.

„Paul hätte mich seiner Zeit gefragt, was genau hat der Make-up Artist hier auf das Bein des Schauspielers geschminkt?“

„Er hat ihm Brandwunden in Form von einem Judenstern auf das Bein geschminkt“, sagte sie und glaubte selbst kaum, was sie da gerade sagte.

„Mach weiter“, bat er.

„Es sieht so aus, als wenn er durch Make-up dem Schauspieler seinen Penis verunstaltet hätte und zwar soll der Zuschauer hier annehmen, dem Opfer wurde mit dem dort liegenden Hammer sein Geschlechtsteil plattgeschlagen.“
Der Hammer, den Petra meinte, lag am Fußende auf dem Tisch in einer großen Blutlache.

„Das Blut ist danach auch nur eine Filmrequisite, darf ich annehmen und gar nicht echt?“

„Aber klar doch.“

„Das klinkt aber schon etwas krank, wenn man sich so Mordopfer ansieht.“

„Ist nur eine Möglichkeit, da kann jeder anders mit umgehen“, sagte Lüppi.

„Wie Gördi zum Beispiel, der fast immer umkippt.“
Petra sah sich mit dem Gedanken, ach es ist nur alles eine Filmscene, das Mordopfer weiter an.
Paul Vetter lag ausgezogen auf dem Tisch. An den Armen und Beinen sowie um den Hals hatte er festsitzende Riemen. Die Brandwunden waren schon erwähnt. Alle zehn Finger waren ihm mit dem Hammer plattgeschlagen worden. Mit einem Messer, welches ebenfalls in der Blutlache lag, hatte man ihm an nicht nachzuzählenden Stellen seine Haut eingeritzt und -geschnitten. Alleine auf der Brust zählte Petra schon weit mehr als fünfzig Schnittwunden. Aus den meisten war Blut ausgetreten und an seinem Körper heruntergelaufen, da sie alle recht tief zu sein schienen. Sie sagte sich im Stillen

Wäre das ein echtes Mordopfer, hätte er unglaubliche Schmerzen ertragen müssen. Es ist nur eine Filmscene. Es ist nur eine Filmscene.
Lüppi schaute sich währenddessen weiter im Raum um. Utensilien zum Ausstopfen von Tieren befanden sich im hinteren Teil des Raums. An der Wand vor Kopf hing ein alter Hängeschrank, wie man ihn früher als Medikamentenschränkchen benutzte. Die beiden Türen waren nur angelehnt. Lüppi öffnete beide. Es standen vier große Einweckgläser dort drin.

„Oh, Scheiße!“, sagte Lüppi, als er sie sah.

„Was ist?“, fragte Petra ihn und sah zu ihm.

„Hier hat der Make-up Artist aber ganze Arbeit geleistet.“
Petra ging zu ihm und
schaute sich auch die vier
Einweckgläser an. In jedem der Glässer befand sich in einer Flüssigkeit ein eingelegtes Katzenkind.

„Weißt du, was das für eine Flüssigkeit ist?“, fragte sie ihn und zeigte auf eines der Glässer.

„Das wird Formaldehyd sein. Das wird zur Konservierung benutzt.“

„Gördi und Heike hast du nie von der Taktik mit der Filmscene erzählt?“

„Nein, bis jetzt habe ich darüber mit niemanden gesprochen. Du bist die Erste.“

Um 11.45 Uhr kam Horst Vollmer, der Leiter der Kriminaltechnische Untersuchungsstelle, und ein Streifenwagen am Haus an. Er war mehr als verwundert als er sah, dass Petra sich in diesem Kellerraum aufhielt und wie Lüppi augenscheinlich keine Probleme mit dem Anblick zu haben schien. Während Horst mit der Spurensicherung anfing, machte Petra mit der Kamera von ihm schon einmal Fotos, von allen ausgestopften Tieren. In den karierten Block schrieb sie die Namen der Tiere. Von den 26 Tieren waren es 16 Hunde, 6 Katzen und 4 Kaninchen. Heike, Gördi und Meik mit Moris und dessen Kollegen trafen um 12 Uhr ein. Gördi reichte der Anblick der Leiche vom Raum davor schon aus. Den Raum mit Schuhüberziehern betrat nur Heike freiwillig. Meik blieb am Türrahmen stehen und wollte auch nicht weitergehen. Nachdem alle fünf Kommissare sich noch einmal gründlich im Haus umgesehen hatten, wollte Lüppi noch mit dem Ehepaar Heigen sprechen. Er traf sie aber nicht an. Sie schienen nicht da zu sein.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Petra nach.

„Ich rufe jetzt als erstes einmal Philipp Sieger an, mal schauen was er zu Herrn Vetter sagen kann und vielleicht fahren wir gleich noch zum LKA nach Düsseldorf.“
Das tat er und telefonierte mit ihm. Philipp war von der Tatsache, dass Paul Vetter möglicherweise auch zu der
Gruppe ‚Neues Reich‘ gehört hatte, überrascht. Hinzukam noch die Tatsache, er war Kunde von Sergej Bobrow gewesen und hatte über einen Mitarbeiter von ihm Pentobarbital oder Kaliumcyanid gekauft. Als Lüppi vom Wohnzimmer des toten Herrn Vetter aus beim LKA anrief, hatte er Glück Philipp zu erreichen. Seine Antwort auf Lüppi´s Frage war.

„Wir sollten uns mit Benjamin Bode unterhalten. Er ist ja bereit auszupacken und kann uns erklären, was der Herr Vetter mit denen zu schaffen hatte“, machte Philipp den Vorschlag.

„Gut, da Benjamin Bode noch in der JVA Essen ist, lasse ich ihn zu uns in den Vernehmungsraum bringen“, sagte Lüppi und telefonierte anschließend mit der JVA und dem Dienststellenleiter, Herrn Lackmann, wegen Herrn Bode. Um 13.45 Uhr fuhren die fünf wieder. Horst mit seinen Kollegen und die zwei Streifenpolizisten blieben vor Ort. Das Bestattungsunternehmen, welches den Leichnam in die Rechtsmedizin bringen sollte, kam den beiden entgegen als sie in Richtung Präsidium losfuhren.

 

Donnerstag, 13.00 Uhr
Italien, Mailand
Hotel Mandarin Oriental

Bernardo Carbone und Michele Alessandro Mascali befanden sich mit ihrem Mitarbeiter und Reisegefährten Giacomo im Innenhof des Hotels. Giacomo hatte Neuigkeiten von den Brüdern, die auch als die Mancini-Brüder bekannt waren.
Das dieses Gespräch auf Italienisch mit einigen sizilianischen Worten geführt wurde, sei an dieser Stelle erwähnt.

„Du hast mit den Brüdern gesprochen?“, erkundigte sich Bernardo.

„Die beiden haben im Ruhrgebiet nachgehört, ob irgendetwas an dem Alfa Romeo Spider aufgefallen ist. Die Antwort von unserer Kontaktperson war, nein, es hat keinerlei
Beschwerden gegeben. Die beiden sind hingegangen und
haben zum Testen die Werkstatt von Mark Kirchheim genommen.“

„Ist das nicht ein bisschen zu gefährlich?“, fragte Bernardo nach.

„Nein, warum? Die beiden meinten, das Schlimmste, was passieren kann ist, dass man glaubt, es würde sich um eine schlechte Reparatur handeln, also so, als wenn dort gefuscht worden wäre, denn außer Kinderknete ist dort nichts zu finden“, gab Giacomo wieder.

„Wann melden die zwei sich wieder?“, fragte Michele nach.

„Morgen Vormittag im Café an der Straße gegenüber vom Hotel so gegen 11 Uhr.“

„Wie kommen wir heute Abend zur ‚Mailänder Scala‘?“, fragte Bernardo.

„Ich würde sagen mit dem Taxi. Die Vorstellung beginnt um 19 Uhr, wir sollten dann also um 18.30 Uhr hier los“, antwortete Giacomo.

„Das Taxi ist zu auffällig, zudem sind das nur ein paar Minuten zu Fuß von hier, wir werden laufen“, sagte Michele.

„Was sagst du?“, wollte Giacomo von Bernardo wissen.

„Du hast es gehört, wir laufen.“

 

Donnerstag, 14.35 Uhr
Polizeipräsidium Essen

Alle waren im Büro eingetroffen und Lüppi wollte hören, was die drei in Werden vorgefunden hatten. Er erfuhr von Dr. Werner Neumann, dem Facharzt für Geriatrie und dass sie nicht wüssten, warum dem Arzt der Tote so bedenklich vorgekommen war. Alle drei gingen bei Herrn Pfeifer von einem normalen Tod aus.

„In Ordnung“, sagte Lüppi mal wieder.
„Heike, du kümmerst dich bitte um die Immobilen von Herrn Vetter. Gördi, du schaust dir bitte die Finanzen von ihm an. Meik, du schaust bitte welche Herrschaften in der Umgebung einen Hund haben, wer Hundesteuer bezahlt oder bezahlt hat, usw.“

„Ich fang mal an eine Akte für Paul Vetter anzulegen und schreibe den ersten Bericht“, sagte Petra.
Lüppi hielt den rechten Daumen hoch, stand auf und teilte mit.

„Ich bin jetzt in der KK21 und anschließend in der KK31.“
Dann war er weg.
Beim Kriminalkommissariat 21, welches für
Organisierte Kriminalität zuständig ist, fragte er nach, ob die Kollegen schon mal was von einem Paul Vetter gehört hatten. Kolleginnen gab es zu dem Zeitpunkt nicht in dem Kommissariat.
Die Antwort war NEIN, war noch nie in irgendwelchen Ermittlungen aufgetaucht. Er bedankte sich und ging zu
Karin und Hans in die KK31. Auch sie fragte er. Das Kriminalkommissariat 31 ist unter anderem für Bandenkriminalität zuständig. Hans konnte sich dunkel daran erinnern, so etwas vor längerer Zeit gelesen zu haben. Es war bereits 15 Uhr geworden als Karin´s Telefon schellte. Es war Petra, die Bescheid sagte, Philipp sei da und Herr Bode saß bereits im Vernehmungsraum. Bevor Lüppi ging, versprachen beide sich darum zu kümmern und zu schauen, was sie dazu finden könnten.

 

Donnerstag, 15.20 Uhr
Polizeipräsidium Essen
Vernehmungsraum

Philipp und Lüppi betraten den Vernehmungsraum. Benjamin Bode lächelte sie an und Lüppi schaltete das Mikrofon ein. Wie immer sprach er die Einleitung.

„Es ist heute Donnerstag, der 5. Oktober 1995. Wir haben jetzt 15.21 Uhr. Zur Befragung ist Benjamin Bode aus der JVA vorgeführt worden. Die Befragung wird von dem LKA-Mitarbeiter Philipp Sieger, sowie von mir, Kriminalhauptkommissar Martin Lüpke, durchgeführt.“

„Herr Bode“, sprach Philipp ihn an. „Was können Sie uns zu Paul Vetter erzählen?“

„Einiges. Aber vorher habe ich auch eine Frage. Was ist mit meinem Zeugenschutzprogramm in Holland?“

„Das läuft und wie ich Ihnen schon schriftlich zugesagt habe, kommen Sie ins Zeugenschutzprogramm. Da können Sie sich auf mich verlassen“, bestätigte Philipp.

„Okay, was möchten Sie wissen?“, fragte Herr Bode nach.

„Woher kennen Sie ihn?“, fragte Philipp.

„Über die Organisation ‚Neues Reich‘. Das erste Mal bin ich vor ein paar Wochen bei ihm gewesen, um die Schlüssel für die neue Halle abzuholen“, antwortete Herr Bode.

„Die Halle ist in Duisburg?“

„Ja, genau, im Hafen. Sie ist nicht ganz so groß wie die anderen dort.“

„Was befindet sich dort?“

„Die ersten neuen Waffen. Das alte Waffenlager war auf einem Campingplatz, das ist aber entdeckt worden. Jetzt muss die Organisation hier in NRW wieder ganz von vorne anfangen.“ (Kommissar Lüppi - Band 6)

„Was sind das für Waffen?“, wollte Philipp wissen.

„Soviel ich weiß, Pistolen und ein paar Gewehre.“

„Was ist sonst noch in der Halle?“

„30 Kisten von einer Medizin, womit man viele Menschen umbringen kann. Das ist für den großen Tag des Umsturzes vorgesehen. Damit sollen dann die Politiker und hochrangige Beamte beseitigt werden.“

„Steht der Tag des Umsturzes schon fest?“

„Nicht, dass ich wüsste. Neben unserer Ortsgruppe sind auch noch drei andere Zellen mit deren Ortsgruppen nicht so weit.“

„Noch mal zurück zu Paul Vetter. Gibt es in letzter Zeit Probleme mit ihm?“, erkundigte sich Philipp und wollte ihm nicht mitteilen, dass der Herr Vetter unmenschlich gefoltert und hingerichtet worden war.

„Ja, ich habe gehört, er kann die restlichen Kisten von der Medizin für den großen Tag nicht liefern. Das hat für viel Ärger bei Walter und Hubert geführt. Deshalb war ich erst letzte Woche noch wieder bei ihm, um im klarzumachen, dass sich die Organisation auf ihn verlässt.“

„Da war Kerstin Maiwald mit dabei?“

„Ja, genau.“

„Wie viele Kisten sollten es denn insgesamt werden?“

„300 Kisten und bis jetzt hat er gerade mal nur 30 geliefert.“

„Was können Sie sich vorstellen, was die Organisation mit Herrn Vetter macht, wenn er gar nicht mehr liefert?“

„Direkt beseitigen, bevor er anfängt zu reden. Hubert sagt immer, Denkzettel nutzen nur bedingt etwas und wenn viel von etwas Bestimmtem abhängt, ist Beseitigen die beste Möglichkeit ein Problem loszuwerden.“

„Gibt es für Denkzettel eine festgelegte Vorgehensweise?“

„Brandmarken ist eine erste Möglichkeit, damit wird der Betroffene Lebenslang daran erinnert, er hat was falsch gemacht.“

„Brandmarken?“, fragte Lüppi und sagte seit der Einleitung das erste Mal etwas.

„Ja, Brandmarken, das müssen die wohl früher auch schon gemacht haben. Hubert findet das ganz toll.“

„Was sind das für Brandmarken?“, fragte Lüppi.

„Gesehen habe ich die noch nicht. Das sollen so Brandeisen sein wie sie in Western zu sehen sind, wo Rinder auch gebrandmarkt werden.“

„Wenn jemand beseitigt wird, was wird dann getan?“

„Ich glaube, er wird erschossen“, sagte Herr Bode.

„Was ist mit Finger zertrümmern oder mit vielen Schnitten die Haut zerschneiden, damit derjenige verblutet?“

„Habe ich noch nie von gehört… kann es aber auch geben, das weiß ich nicht“, sagte Herr Bode und für Lüppi waren die ihm wichtigen Fragen damit gestellt.
Philipp stellte noch eine ganze weitere Stunde Fragen, was zwar auch interessant war, aber Lüppi nur am Rande interessierte. Der erste Teil der Befragung war für ihn der ausschlaggebende gewesen. Gegen 16.30 Uhr wurde
Benjamin Bode wieder zurück in die JVA gebracht.

 

Donnerstag, 16.35 Uhr
Polizeipräsidium Essen

Philipp und Lüppi kamen zurück ins Büro und Lüppi bat Meik das Befragungsprotokoll zu schreiben. Er schien damit kein Problem zu haben.

„Was sagst du zu den Aussagen von Herrn Bode?“, wollte Lüppi von Philipp wissen.

„Was den Tod von dem Vetter angeht, kann man wohl davon ausgehen, dass es die Gruppe ‚Neues Reich‘ gewesen sein wird“, war Philipp der Meinung.

„Findest du diese Art von Folterung nicht ein bisschen zu viel für eine solche Organisation?“

„Im kriminellen Milieu sind solche drastischen Strafen nicht unüblich. Sie dienen dazu, um anderen zu zeigen, sich zusammenzureißen und das zu tun, was verlangt wird.“

„Dann belassen wir es damit erst einmal und warten mal ab, was Frau Doktor und die KTU noch für Info´s für uns haben“, beschloss Lüppi.
Philipp und Lüppi sprachen noch weiter über die Gruppe
‚Neues Reich‘.
Kurz vor 17 Uhr
sagte Philipp.

„Ich fahre dann mal wieder“, und schaute zu Meik.
„Herr Wortmann, was meinen Sie, wie lange brauchen Sie für das Protokoll?“, fragte Philipp.

„Wenn ich auf die Uhr sehe, bin ich morgen Vormittag damit fertig“, antwortete Meik.

„Kann der Kollege mir das Protokoll dann nach Düsseldorf bringen?“, wollte Philipp von Lüppi wissen.

„Ja, geht“, antwortete er knapp.
Dann ging Philipp wieder und wenige Minuten später kam Jasmin ins Büro zurück und setzte sich schnaufend an ihren Schreibtisch. Meik, der ihr gegenübersaß, schaute zu ihr und sie fragte ihn provokant.

„Was ist?“
Alle sechs machten um 17 Uhr Feierabend.

 

Donnerstag, 17.40 Uhr
Essen Frohnhausen

Lüppi und Torti tranken auch an diesem Nachmittag zusammen Kaffee und unterhielten sich. Dass er von Paul Vetter, dessen Folterung und Hinrichtung berichtete war genauso klar, wie die Tatsache, dass 26 Haustiere ausgestopft vorgefunden worden waren. Torti fand es absolut ekelhaft und verstand nicht, wie alle anderen auch, warum ein Mensch so etwas tat. Auf die Frage von Lüppi, was sie glauben würde, wer es gewesen sei, antwortete sie.

„Es ist beides möglich. Interessant wäre die Antwort auf die Frage, ist Minka Nr. 3 wieder bei Ehepaar Heigen eingetroffen oder noch nicht. Sie wurde doch seit einigen Tagen vermisst.“

„Das werden wir überprüfen“, versprach Lüppi.
Nach dem Abendessen blieben die zwei für sich und schauten einen italienischen Spielfilm.



2

6. Oktober 1995, Freitag, 8.00 Uhr
Polizeipräsidium Essen

Alle fünf aus Frohnhausen waren im Büro. Die einzelne Kollegin aus Holsterhausen am dritten Tag in Folge noch nicht. Nachdem Gördi mal wieder Kaffee gekocht hatte, setzten sich alle zusammen und berichteten, was sie am Vortag herausgefunden hatten.

„Wer möchte anfangen?“, fragte Lüppi nach.

„Dann mache ich das“, antwortete Gördi.
„Ich habe
mir ja die Finanzen von Herrn Vetter angesehen. Er hat ein Girokonto mit 50.000 DM Guthaben und ein Sparkonto mit 350.000 DM. Laut der Rhein-Ruhr-Bank soll es noch ein Konto in der Schweiz geben. Davon hat der Bankberater mir erzählt als er hörte, dass Herr Vetter verstorben ist. Welche Bank das in der Schweiz ist und wieviel dort darauf ist, wusste der Mitarbeiter nicht. Dann habe ich mit der Versicherung gesprochen. Er hatte eine Lebensversicherung, die letztes Jahr ausgezahlt worden ist. Das wird das Geld sein, was sich auf dem Sparkonto befindet. Laut Finanzamt hat er nur die Einnahmen von der Vermietung der Halle in Duisburg. Jetzt haltet euch fest, für diese Halle hat er jeden Monat 25.000 DM Miete bekommen.“

„Sehr lukrativ“, fand Meik.

„25.000 DM finde ich jetzt aber auch zu viel. Das klingt für mich ja schon so als wenn dort Geld gewaschen würde, so wie es das organisierte Verbrechen macht“, fand Lüppi.
Alle waren der gleichen Meinung, nur keiner konnte sagen, inwieweit diese Information weiterhelfen konnte.

„Dann mache ich weiter“, sagte Heike. „Ich habe mich ja nur um die Immobilien von ihm gekümmert. Das Einfamilienhaus in Mülheim, wo er gefunden worden ist, gehörte ihm, war jetzt schon irgendwie klar. Dann gibt es die Halle in Duisburg und in Bayern einen Bauernhof. Laut dem Bürgermeisterbüro von dem nahegelegenen kleinen Ort, ist der Bauernhof häufig unbewohnt. Das hat sich wohl in letzter Zeit geändert, da kommen immer wieder einige Leute und bleiben dann zwei Wochen. Das war es von meiner Seite, mehr habe ich nicht.“

„Dann müssten die doch bestimmt Kurtaxe zahlen, oder?“, fragte Lüppi.

„Mmh… kann sein, weiß ich nicht, ich höre nach“, versprach sie.

„Meik“, sprach Lüppi ihn an.

„Ich habe eine Liste von allen Hundebesitzern aus der Gegend erstellt. Es sind 36 Stück, die ich auf einer Kopie eines Stadtplanes markiert habe. Vorschlag, ich fahre nach Saarn und klappere die Hundebesitzer ab“, sagte Meik.

„Eine gute Idee. Dann kannst du direkt einmal zum Ehepaar Heigen gehen und dich nach ihrer Katze Minka Nr. 3 erkundigen. Frag bitte, ob sie wieder heimgekehrt oder noch immer nicht da ist. Das war eine Idee von Torti“, sagte Lüppi.

„Okay, dann achte ich mal darauf wie sie so auf meine Frage reagieren“, sagte Meik.

„Was ist mit dem Protokoll von der Befragung von gestern?“

„Da bin in wenigen Minuten mit fertig.“

„In Ordnung“, kam mal wieder von ihm und er schaute zu Petra.

„Ich habe die Akte für Paul Vetter angelegt“, sagte sie.

„Gut, dann bitte folgendes“, sagte Lüppi und schaute zu Meik. „Wenn du mit dem Protokoll fertig bist, lässt du dir ein Auto von der Fahrbereitschaft geben, bringst das Protokoll als erstes zum LKA nach Düsseldorf. Viel Spaß beim zurecht finden dort und anschließend besuchst du als erstes das Ehepaar Heigen und klapperst danach die Hundebesitzer ab.“

„Okay“, sagte Meik und das Telefon von Petra schellte.

„Kriminalkommissariat 11, Kommissarin Petra Wilkerling, guten Tag.“

„Ich bin es“, sagte der wachhabende Streifenbeamte aus der Wache von unten. „Das Altenheim in Haarzopf hat angerufen, sie haben eine tote Mitbewohnerin, eine gewisse
Irmgard Albrecht. Die Pflegekraft ist sich absolut sicher, da stimmt was nicht.“

„In Ordnung, wir kommen. Wo genau ist das in Haarzopf?“, fragte sie nach und der Streifenkollege gab ihr die Anschrift.

„Wer ist es jetzt?“, erkundigte sich Lüppi, als sie ihren Hörer aufgelegt hatte.

„Irmgard Albrecht in einem Altenheim in Haarzopf“, antwortete sie und fragte. „Wer fährt?“

„Heike und Gördi, übernehmt ihr das bitte. Petra und ich bleiben hier denn um 10 Uhr kommt der Kollege Kintrup aus Bochum“, sagte Lüppi.

„Klar, machen wir zwei“, sagte Heike und nur wenige Augenblick später gingen sie.
Lüppi hatte wieder Akten der übrigen Kollegen zur Abschlussdurchsicht auf seinem Schreibtisch liegen. Petra sah ihn an und sagte zu ihm.

„Gib mir mal bitte die oberste.“
Lüppi stutzte und gab sie ihr.

„Was hältst du davon, wenn ich mir die Akten vorab schonmal ansehe, dann geht es schneller?“, machte sie den Vorschlag.

„Wenn du das machen würdest, das wäre Klasse“, freute er sich.
Meik druckte das Befragungsprotokoll 5 Minuten später aus und ließ sich von Lüppi einen Stadtplan von Düsseldorf geben, denn ein Navigationsgerät hatte die Abteilung zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Als er ging, schaute sich Petra bereits die Akte vom
Kollegen Sven an, dabei ging es um ein
Waffendelikt. Lüppi nahm sein Telefon und rief unten in der Registratur an. Dort fragte er nach, ob die Kollegin Jasmin Ambrose dort sei.

„Ja, sie ist hier und macht die Aufstellung für unseren Kriminaldirektor. Möchtest du sie sprechen?“, erkundigte sich der Kollege Meinhard.

„Nein, nicht nötig. Ich habe da aber eine Frage. Wann ist sie heute Morgen gekommen?“

„Das kann ich dir ganz genau sagen. Es war um 8.15 Uhr, da haben sie im Radio die Uhrzeit gesagt und die Verkehrsmeldung gebracht, als sie hereinkam. Warum fragst du?“

„Weil sie bis jetzt noch nicht hier oben bei uns war. Wenn sie aber erst um 8.15 Uhr gekommen ist, dann weiß ich jetzt warum sie direkt zu dir gegangen ist“, sagte Lüppi.

„Das ist ja interessant, dann habe ich da jetzt auch mal eine Frage an dich. Sollte sie gestern, nach der Mittagspause, für eine Stunde oben bei euch helfen?“

„Nach der Mittagspause? Ich mache nie Mittagspause…, wann ist denn überhaupt Mittagspause… äh…, du meinst jetzt bitte welche Uhrzeit?“

„Von 12.30 Uhr bis um 13.30 Uhr.“

„Äh… da waren wir alle gar nicht hier im Präsidium. Wir sind erst gegen… warte mal bitte“, sagte Lüppi und fragte Petra, wann sie am Vortag wieder im Büro waren. Petra wusste es und Lüppi antwortete dem Kollegen.

„Wir waren erst gegen halb drei wieder hier. Also uns sollte sie bestimmt nicht helfen.“

„Ja, wo war sie denn dann? Unser Herr Bäumler hat mich nämlich gebeten, darauf zu achten, dass sie die Auflistung macht und nicht herumtrödelt“, informierte ihn der Kollege Meinhard aus der Registratur.

 

Freitag, 9.20 Uhr
Essen Haarzopf

Heike und Gördi waren am Altenheim eingetroffen. Ein Streifenwagen stand auf dem Parkplatz vor dem Heim. Gördi hatte daneben den Wagen abgestellt. Von einer Mitarbeiterin des Heims wurden sie im Erdgeschoss zum Zimmer der Verstorbenen gebracht. Als sie es betraten, stellten sie fest, es handelte sich dabei um ein Zwei-Bett-Zimmer. Die zwei Streifenkollegen waren mit der Pflegerin, die angerufen hatte, im Zimmer und standen vor dem Bett der Verstorbenen. Frau Albrechts Leichnam lag angezogen auf ihrem Bett. Beide grüßten als sie eintraten.

„Hallo, ihr zwei, das ist Schwester Anja“, sagte einer der beiden Streifenpolizisten.
Beide stellten sich der Mitarbeiterin vor und Heike fragte.

„Sie haben sie gefunden.“

„Nicht direkt. Das war unsere Frau Berdel“, antwortete Schwester Anja und nickte in Richtung der Mitbewohnerin.
Diese hatte ihr Bett, ihren Schrank und ihren Sessel auf der rechten Seite des Zimmers. Sie saß in ihrem Sessel, der am Fußende ihres Bettes stand und schaute sich Wortlos das Ganze an. Heike ging die zwei Schritte zu ihr und sagte.

„Guten Morgen, ich bin Kriminaloberkommissarin Heike Buhrmann. Können Sie uns sagen, was passiert ist?“
Frau Berdel sah sie verunsichert an, schaute zu den beiden Polizisten und schien nicht antworten zu wollen. Gördi bemerkte, dass es ihr wahrscheinlich zu viele Leute im Zimmer waren und schickte die Kollegen und
Schwester Anja vor die Tür. Heike holte sich den Stuhl von der Verstorbenen, der ebenfalls am Fußende ihres Bettes stand und setzte sich ihr gegenüber hin.

„Darf ich fragen, wie Sie heißen?“

Gerda Berdel.“

„Wohnen Sie schon lange mit Frau Albrecht zusammen?“

„Ja, seit fünf Jahren und drei Monaten.“

„So genau wissen Sie das?“

„Ja, man hat hier sehr viel Zeit und nichts zu tun. Die ollen Zeitschriften kann man auch nicht mehr als drei - vier Mal lesen. Manche Artikel kenne ich schon auswendig.“

„Das heißt, Ihnen ist oft langweilig hier?“, fragte Heike nach.

„Ja, leider und sich mit Irmgard zu unterhalten ist das Einzige was wir zwei haben. Ach… jetzt muss ich ja sagen… hatten.“

„Darf ich Sie fragen wie alt Sie sind?“

„Ja, dürfen Sie. Ich bin 94 Jahre alt. Irmgard und ich haben immer gesagt, da sie ja erst 86 Jahre alt ist, würde ich zuerst gehen und sie würde hier zurückbleiben, jetzt ist sie weg und ich bin noch hier“, sagte Frau Berdel und schien traurig zu sein.

„Was ist Ihnen denn heute Morgen aufgefallen?“, erkundigte sich Heike.

„Aufgefallen ist es uns schon gestern. Wir zwei waren beim dritten Tagesheileid. Als wir wiederkamen standen die kleinen niedlichen Mineralwasser Fläschchen hier bei uns an den Betten. Solche kleinen hatten wir hier noch nie. Irmgard meinte noch zu mir, ob die jetzt auch noch am Wasser sparen wollen“, sagte sie, machte eine kurze Pause und meinte.
„Komisch ist aber, die großen
¾ Liter Flaschen sind trotzdem da. Irmgard meinte, das wäre wohl möglichweise ein Versuch, ob wir Alten damit besser klarkommen würden.“
Heike drehte sich zu dem Nachtisch von Irmgard um und sah eine halbleere 0,33 Liter Mineralwasser Flasche.

„Ich habe da auch eine Frage, was ist denn das dritte Tagesheileid?“, erkundigte sich Gördi.

„Na, das Abendessen. Früher hatten wir vier Tagesheileids, aber den Kaffee mit Kuchen haben sie uns hier gestrichen.
Angeblich weil wir alle zu dick werden und zu viel Süßes für uns Alte nicht so gut sein soll. So ein Blödsinn, als wenn ich mit 94 Jahre noch auf meine Gesundheit achten müsste.“

„Das heißt jetzt also, diese kleinen Wasserflaschen haben Sie zum ersten Mal bekommen?“, fragte Heike nach.

„Ja, ganz genau. Was komisch ist, dass die schon an unseren Betten standen, sonst muss man Anja und die anderen Schwestern drei Mal bitten bis wir wieder eine Flasche bekommen und aufgedreht sind die dann noch nicht.“
Heike sah Gördi an und er nickte. Er ging vor die Tür und bat die Kollegen, die KTU zu rufen.

„Frau Albrecht hat also schon aus ihrer Flasche getrunken?“, fragte Heike, obwohl man das ja sehen konnte.

„Ja, vorhin, da die Große leer war“, antwortete Frau Berdel.
Heike sah zu ihrem Nachtisch, die kleine Flasche für Frau Berdel schien noch unberührt zu sein.

„Sie hat also aus der kleinen Flasche getrunken und was ist dann passiert?“, fragte Heike und ahnte es bereits.

„Sie hat einen ersten Schluck genommen und meinte kurze Zeit später zu mir, ihr würde ein klein wenig schwindelig. Da habe ich noch zu ihr gesagt, sie hat vielleicht zu wenig getrunken. Das kann sein, meinte sie und hat die halbe Flasche leergemacht. Ich war danach zur Toilette und als ich wieder rauskam, hatte sie sich hingelegt.“

„Haben Sie Schwester Anja verständigt?“

„Ja, nachdem ich Irmgard angesprochen habe und sie nicht reagiert hat. Ich habe an ihr auch noch gewackelt und sie angesprochen, sie ist aber nicht mehr wachgeworden. Um zu sehen ob sie einfach so gestorben ist, habe ich ihr die Nase zugehalten, aber ihr Mund blieb zu und da wusste ich, sie ist tot.“

„Was haben Sie zu Schwester Anja gesagt oder was sie zu Ihnen?“, wollte Heike wissen.

„Ich habe ihr gesagt, dass Irmgard tot sei und dass sie kurz zuvor das Wasser dort getrunken hat“, sagte Frau Berdel und zeigte mit dem Finger auf die Flasche bei Irmgard am Bett.
„Sie hat aber zu mir gemeint, am Wassertrinken ist noch niemand gestorben und ich hätte wohl zu viel Schmöker-Krimis gelesen. Da habe ich ihr noch geantwortet, das wäre ja mal schön, wenn wir die hier hätten.“

„Und dann, was hat Schwester Anja dann gemacht?“

„Erst einmal nichts, bis ich sie gefragt habe, wo denn die kleinen Flaschen herkommen würden. Da wurde die gute Anja doch etwas unruhig. Sie ist daraufhin gegangen und hat den Hausarzt von Irmgard angerufen. Der will wohl kommen und nach ihr sehen.“
Gördi kam herein und teilte mit.

„Der Hausarzt schafft es nicht vor 13 Uhr hier zu sein. Ich habe bei Stefanie angerufen und nachgefragt, ob sie kommen kann. Sie macht sich auf den Weg.“

„Der Hausarzt ist also nicht Dr. Neumann“, machte Heike die Feststellung.

„Richtig, der Hausarzt heißt Dr. Meinscheid.“
Schwester Anja brachte nach dem Gespräch mit Heike Frau Berdel in den Aufenthaltsraum. Dort war ihr eine der schon bekannten Zeitschriften in die Hand gedrückt worden. Auf die Frage, was sie damit soll, bekam sie keine Antwort und wurde dort sitzengelassen.

 

Freitag, 9.55 Uhr
Polizeipräsidium Essen

Lüppi schaute die von Petra zuvor durchgesehenen und abgeschlossenen Akten noch einmal oberflächlich durch und zeichnete sie im Anschluss ab. Während also beide damit beschäftigt waren klopfte es an der offenstehenden Bürotür. Ein sehr korpulenter und großgewachsener Mann mit rotem Kunststoff-Brillengestell stand dort. Beide schauten hin und sahen, Kollege Kintrup aus Bochum war da.

„Komm rein“, sagte Lüppi zu ihm.
Wie immer grüßte er zurück mit.

„Tach, da bin ich.“

„Schön, ich sehe du hast zwei Fallakten von euch mit dabei?“

„Ja, Frau Dr. Schneider hat mir gestern Nachmittag von eurem Toten im Altenheim berichtet und da dachte ich, ich könne dir ja mal unsere beiden mitbringen.“

„Was sind das für Fälle?“, fragte Lüppi nach.

„Bevor wir damit anfangen, erzähle du mir mal lieber ausführlich wieso du den Denglert vom BKA kennst.“

„Also wie schon am Montag in der Rechtsmedizin gesagt, wir sind alte Schulkameraden, seit der Grundschule.“
Lüppi erzählte daraufhin einiges von früher. Als er damit fertig war, meinte er zu ihm.

„Wir sollten uns jetzt mal auf die Fälle konzentrieren. Sag einmal, was hast du denn jetzt da?“

„Die zwei, die du schon bei Frau Doktor am Montag in der Rechtsmedizin gesehen hast. Also, in der richtigen Reihenfolge, Berthold Mülling, 75 Jahre, aus Bochum Linden, tot aufgefunden am Montag den 25.09. und dann Helga Koch, 78 Jahre, aus Wattenscheid, aufgefunden am Mittwoch den 27.09.“, sagte Mathis.

„Und du hast gesagt, alle beide sind Pento-Fälle, wie du sie genannt hast und beide sind in Altenheimen verstorben?“, erkundigte sich Lüppi.

„Ganz genau. Bei Herrn Mülling kam die Mitarbeiterin gerade zu ihm ins Zimmer als er aus einer kleinen Wasserflasche trank. Sie wollte ihm seine Pillen für den nächsten Tag fertigmachen, dabei ist er zusammengesackt und das war es. Das Kuriose dabei ist, diese kleinen Wasserflaschen haben die gar nicht im Altenheim.“

„Wie alt war der Herr Mülling?“

„75 Jahre und hatte Demenz im mittleren Stadium.“

„Petra“, sprach Lüppi sie an. „Schreibst du bitte mal mit.“

„Mache ich bereits“, kam die Antwort.

„Danke schön, du bist die Beste“, lobte er sie.

„Bei Frau Koch war es der Arzt, der zu der Pflegerin sagte, mit Frau Koch wäre etwas“, teilte Mathis mit.

„Einen Augenblick mal bitte“, sagte Petra.
„Was hast du da gerade gesagt… der Arzt hat zu der Pflegerin gesagt, mit Frau Koch wäre etwas?“

„Ja, warum?“, fragte er nach.

„Entschuldige mal bitte, wenn ich das sagen würde, wäre es ja nachvollziehbar, aber ein Arzt sagt, mit Frau Koch ist etwas?“

„Er war auf dem Weg und wollte einen Notarzt rufen, hat er ausgesagt.“

„Was er dann auch getan hat, darf ich annehmen?“, fragte Lüppi nach.

„Ja, genau, als die eintrafen, war Helga Koch bereits verstorben.“

„Beide sind an Pentobarbital gestorben?“, fragte Petra.

„Ja, laut Frau Doktor. Was ist mit eurem Fall, wisst ihr da schon was?“

„Nein, wir warten noch“, war Lüppi´s Aussage, schaute zu Petra, nahm den Hörer und rief in der Rechtsmedizin an. Dort meldete sich ein Mitarbeiter von Frau Doktor.

„Kann ich mal bitte Stefanie sprechen?“, fragte Lüppi.

„Nein, im Augenblick nicht, sie ist nicht da. Ihr Kollege, der Herr Schwarz, hat sie nach Haarzopf gerufen. Wann sie wieder hier ist kann ich nicht sagen“, war die Information des Mitarbeiters.

„Stefanie ist in Haarzopf bei Gerhard und Heike? Oh… na, dann“, sagte er und bedankte sich.
Nachdem er eingehangen hatte, teilte er es den beiden mit und Petra kam auf die Idee über den
wachhabenden Streifenkollegen aus der Wache die Streifenkollegen anfunken zu lassen.

 

Freitag, 10.45 Uhr
Essen Haarzopf

Einer der beiden Streifenkollegen kam zu Heike und Gördi und hielt den beiden sein Funkgerät mit den Worten hin.

„Hier für euch.“
Heike nahm es und meldete sich.

„Hallo Heike, ich bin es, Petra. Lüppi wollte gerade mit Stefanie sprechen, da wurde ihm gesagt, sie wäre bei euch.“

„Ja, sie ist vor 10 Minuten bei uns eingetroffen. Moris mit einem Kollegen ist auch hier“, sagte Heike.

„Was ist denn passiert?“

„Irmgard Albrecht ist möglicherweise mit einer Flasche Wasser vergiftet und getötet worden. Der Hausarzt kann nicht vor 13 Uhr kommen und da haben wir Stefanie gebeten. Warum?“

„Du sagst mir jetzt aber nicht, sie ist mit einer kleinen Wasserflasche vergiftet worden, nicht wahr?“

„Doch eine kleine Wasserflasche, die es hier eigentlich gar nicht gibt“, antwortete Heike.

„Mathis, wie hieß denn das Wasser bei dem Herr Mülling?“

„Einen Augenblick, bitte“, sagte Mathis. „Ich habe es mir aufgeschrieben… das kannte ich gar nicht… das war… ‚Ruhrquell Mineralwasser‘.“

„Heike, hörst du?“

„Ja, ich höre.“

„Wie heißt das Wasser bei euch?“, fragte Petra und Heike gab die Frage an Moris weiter, der schon beide Wasserfläschchen eingepackt hatte. Er antwortete Heike, was Petra aber nicht verstand.

„Das ist ‚Ruhrquell Mineralwasser‘“, teilte Heike mit.

„Mathis hat in Bochum auch einen Fall, wo das Wasser von ‚Ruhrquell Mineralwasser‘ vergiftet war“, informierte Petra.

 

 
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